Da fallen mir innerhalb einer Woche erst eine wunderbare Drei-in-einem-Pappschuber-Ausgabe der Musketier-Trilogie in die Hände und kurz darauf diese Homepage ins Auge – wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist...
Doch nun zum Thema. Mein Dumas-Liebling ist ganz klar
ARAMIS auf der Nummer 1.
Interessant, dass Aramis in fast jeder Rangliste entweder unter den ersten oder unter „denen, die ich garnicht leiden kann“ erwähnt wird. Ist nicht das schon ziemlich bezeichnend? Offensichtlich sind wir als „Kollektiv“ ebensowenig in der Lage, ihn zu „kategorisieren“ wie er sich selbst für Hüh oder Hott entscheiden kann. Das beweist immerhin schon mal, dass er kein Schubladen-Charakter ist; ihn kategorisch auf das Gleis „scheinheiliger Opportunist“ abzuschieben, wird ihm meiner Meinung nach nicht gerecht (Inwiefern ein jesuitischer Intrigant, der eine „Zwei-Mann-Rebellion“ gegen den König von Frankreich vom Zaum bricht, opportunistisch im Sinne von „mit-dem_Strom-schwimmerisch“ sein soll, ist mir ohnehin nicht so ganz klar.)
Nun zum Vorwurf der Scheinheiligkeit.
Keinem anderen der Musketiere können so viele Attribute zugeordnet werden, wie Aramis: Soldat, Abbé, Dichter, Liebhaber, Intrigant, Jesuitengeneral, Bischof... Bewundernswert, wie der Gute das überhaupt alles in einem einzigen Leben unterzubringen vermag, zumal er in allem, was er tut, zu den absoluten Top Ten zu zählen scheint: Dagegen ist ein Harvard-Professor mit sechs Doktortiteln ja rein garnichts! Wer soll denn solch eine Doppel-und-Dreifach-Karriere auf die Reihe bringen, ohne dass es dabei zu Überschneidungen kommt? Wenn jedenfalls Vielfältigkeit und Veränderung einen komplexen Charakter formen, gehört Aramis sicher nicht zu den langweiligsten der Dumas-Charaktere. Was ist es aber dann, was ihn scheinheilig erscheinen lässt? Die Strickleiter für Mme de Longueville? Die von einem einzigen Liebesbrief über den Haufen geworfene These (übrigens eine meiner Lieblingsstellen in der ganzen Trilogie;-))? Naja, Prinzipienethiker ist Aramis bestimmt nicht. Aber gerade aus unserer heutigen Sicht erscheint ein Mönch, der auf die Ora-et-Labora-Formel beschränkt ist, doch eher langweilig.
Dass er dennoch eine Menge Fehler hat, macht ihn ja gerade interessant: Sein Egoismus treibt ihn an, sein Größenwahn lässt ihn abstürzen. Louis‘ Zwillingsbruder benutzt er, um an seiner Papstkarriere zu feilen – dennoch ist es mehr als Egoismus, der ihn sich nach dem Fehlschlag der Intrige, um dessen Schicksal sorgen lässt. Auch den gutgläubigen Porthos missbraucht er für seine Pläne – doch nicht ohne später vor Athos zu bereuen (ohne das das den Charakterfehler weniger zum Charakterfehler machen würde).
Interessant finde ich auch, dass Aramis gerade dann zur „bedrohlichen Macht“ wird, wenn er den Degen – als Symbol für physische Macht - ablegt und sich für den Bischofsrock entscheidet. Ein schöner Parallelismus zu jener Paradoxie, die Aramis‘ gesamtes Wesen ausmacht.
Aramis‘ Ehrgeiz finde ich ganz einfach bewundernswert. Von Nichts auf gleich vom Priesterseminar aufs Schlachtfeld, vom Schlachtfeld ins Bett einer ganzen Reihe von Herzöginnen, Comtessen und was-weiß-ich-alles, von dort aus per Strickleiter ins Jesuitenkloster... Der Mann kann zumindest am Ende seines Lebens behaupten, gelebt zu haben
„Dumashistorisch“ gesehen ist Aramis meiner Meinung nach der wichtigste der Musketiere – insofern, meine ich, dass er „realhistorisch“ eine wichtige Rolle gespielt hätte, WENN die König-Wechsel-dich-Aktion erfolgreich verlaufen WÄRE: die gesamte Sonnenkönig-Episode gestrichen (oder auch nicht, je nach dem wie sich der falsche Ludwig entwickelt hätte), Fouquet statt Colbert... und möglicherweise vielleicht maybe ein dichtender Jesuitengeneral mit kriegerischer Vergangenheit auf dem Papststuhl... Amen.
So, jetzt schnell noch zu meinen zweit- und drittliebsten Musketieren, bevor ich euch hier alle zu Tode langweile (wenn das nicht schon geschehen ist)
ATHOS
Zu ihm wurde ja eigentlich schon alles gesagt, was es zu sagen gibt. Seine Vorstellung in LaRochelle war großartig, noch lieber mochte ich die Wirtshaus-Sequenz (Wo war das noch mal? Amiens?). Seine Melancholie, seine geheimnisumwitterte Vergangenheit – das alles ließ ihn mir im ersten Buch ans Herz wachsen. Um so enttäuschter war ich von seiner geradlinigen Entwicklung zu einem Muster an Edelmut und Galanterie im zweiten und dritten Band, und wenn sie noch so logisch und nachvollziehbar verläuft (oder gerade deshalb?). als er dann starb, habe ich weinen müssen – allerdings weniger aus Ergriffenheit als aus Wut: Das hätte doch nun wirklich nicht sein müssen! Manchmal – wenn er zum Bsp. Grimaud für einen winzigen Verstoß gegen sein Schweigegelübte züchtigte wie für ein Kapitalverbrechen – hatte ich auch nicht Übel Lust ihm meine Meinung zu geigen – um so mehr, weil ich ihn als Charakter sehr schätze. Oh, und dann diese grauselige Schiffsbruch-Szene, als er Mordaunt aus dem Wasser fischen wollte... * schauder*
D’ARTAGNAN
Für seinen gascognischen Witz und seine Kaltschnäuzigkeit. Dafür, wie er mit seiner sehr eigenwilligen Art von Gehorsam es immer wieder schafft, seine Freunde vor Strick oder Bastille zu bewahren. („Der König tut, was ich sage.“ ;-)) Ohne d’Artagnan hätten sich die vier Musketiere wahrscheinlich nach Band 1 in alle Winde verstreut...