Das Rechtssystem im 17. Jahrhundert

  • Beim Lesen des Romans hat sich mir schon häufig die Frage gestellt, ob es im 17. Jahrhundert überhaupt schon eine Art funktionierendes Rechtssystem gab.
    Durfte ein Graf in jener Zeit wirklich Recht auf seinem Land sprechen, und sogar Menschen zum Tode verurteilen? Oder hätte Athos für das Aufhängen seiner Frau auch vor Gericht kommen können? Gab es in jener Zeit überhaupt schon richtige Gerichtshöfe?
    Und konnte jemand, der einen Freibrief des Kardinals hatte, tatsächlich Menschen ermorden, ohne dass er dafür bestraft werden konnte? Das fand ich nämlich im Roman so merkwürdig, dass Mylady vom Kardinal dieses Dokument bekam, und damit Constance und d´Artagnan hätte ermorden können, ohne dass jemand sie vor Gericht bringen konnte.
    Und letztendlich wurde dieses Dokument ja ihr Verhängnis, weil es den Musketieren die Möglichkeit gab, den Henker zu rufen und sie zum Tode zu verurteilen.
    Konnte jemand wie der Kardinal im 17. Jahrhundert wirklilch nach Lust und Laune Straftaten decken? Irgendwie erscheint mir das doch ein wenig absurd...

  • kommt drauf an, was du unter einem funktionierenden Rechtssystem verstehst.


    Vermutlich bestanden noch Strukturen aus dem Mittelalter bzgl. der Rechte des Adels und der Rechsstädte. Dann ist Graf ja ein relativ hoher Rang, gleich hinter dem Herzog und dürfte daher weitreichende Rechte besessen haben. Es könnte aber auch sein, dass Dumas mittelalterliche Strukturen ins 17. Jhdt übertragen hat.


    Auf jeden Fall gibt's aus dem Mittelalter die Begriffe der niederen Gerichtsbarkeitund der hohen Gerichtsbarkeit. Unter Gerichtsherrschaft steht in Wikipedia noch:

    Zitat

    Die öffentlichen Gerichte unterstanden einem Grafen und waren über Niedergerichtsbarkeit hinaus für die Hoch- oder Blutgerichtsbarkeit, also für die größeren Fälle, zuständig.

    Ich glaube nicht, dass Grafen und Herzöge persönlich das Richteramt ausgeübt haben, außer in besonderen Fällen. Und Athos war ja auch nicht in seiner Grafschaft präsent.


    Also, ein Todesurteil "durfte" Athos vermutlich aussprechen, allerdings halte ich die Reaktion beim Hängen seiner Frau doch für überzogen. Ich meine, für was wurde sie denn verurteilt? Dafür, dass sie ihr Brandmal verschwiegen hat? Nachvollziehbar wäre das für mich nur in einem ziemlich schrägen Sinn, nämlich, wenn Anne de Breuil durch die Heirat mit dem Grafen de la Fère gewisse Rechte und Privilegien erworben hätte, die ihr nicht mehr genommen werden können. Z.B., aber wie gesagt, das halte ich für eher unwahrscheinlich, wenn ihre Nachkommen, egal ob ehelich oder unehelich, damit auch Erben von Athos wurden. Oder wenn Anne Athos betrogen hätte, im Sinne von Fremdgehen oder beklaut, aber davon wird nichts gesagt. Oder hat Athos sie quasi nochmals für die Tat bestraft für die sie das Brandmal bekam?


    Die Geschichte mit dem Henker sieht anders aus, denn nach Lage der Dinge hat sie die ihr vorgeworfenen Taten größtenteils so vollbracht und in Constanzes Fall ist es eindeutig. Allerdings, befand er sich in seiner Grafschaft? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Recht der hohen Gerichtsbarkeit außerhalb seiner Grafschaft ausüben konnte. Was zu der Frage führt, wie kam er ausgerechnet zum Henker von Lille? Wußte Athos von dessen Bekanntschaft mit Anne?


    Was den Freibrief des Kardinals angeht, kirchliche Herren waren den weltlichen in vielen Dingen gleichgestellt. Zudem hatte Richelieu auch weltliche Macht, da er gleichzeitig ein Herzog war. Als 1. Minister hätte ihn vermutlich eh kein Richter umgehen können.


    Und das mit Straftaten decken, na ja Berlusconi macht das doch auch? Na ja, Morde nicht grade ;) .


    Eigenartig ist, dass der Kardinal den Freibrief gelten läßt und d'Artagnan zum Leutnant befördert, statt ihn zu bestrafen. Denn bei wem könnte d'Artagnan sich wegen Willkür von des Kardinals Seite beschweren?

    "Es heißt, jedermann soll seinen Preis haben, Gebieter. Manche dieser Preise sind jedoch zu hoch, als daß irgendwer sie zu entrichten vermöchte."
    "Und dein Preis ist so hoch?"
    "Hoch genug, daß niemand außer Euch ihn je zahlen könnte, mein König"

  • @Astrid


    Ja, dass der Kardinal den Freibrief gelten ließ, und d´Artagnan auch noch befördert hat, das hat mich auch gewundert. Aber ich vermute mal, das lag daran, dass er noch immer hoffte, ihn irgendwann für seine Garde gewinnen zu können (im Buch wurde das ja mehrmals deutlich), und vielleicht hoffte er, ihn mit diesem Gunstbeweis irgendwann einmal an sich binden zu können. Wie Athos gerade an den Henker von Lille kam, weiss ich auch nicht, in meiner Romanversion geht er einfach zum Henker nach Lille, und ich hatte eher den Eidruck, dass es bloßer Zufall war, dass Mylady diesen Henker kannte, dass Athos das womöglich gar nicht gewusst hat, und nur hinging, weil er einen Henker brauchte.
    Möglich wäre aber auch, dass er die Herkunft des angeblichen Pfarres herausfand, und so auf dessen Bruder, den Henker, stieß.
    Und ich vermute mal, dass der Kardinal damals der höchste Mann im Staat war, so wie ich das verstanden habe, war der König schwach, und der Kardinal regierte Frankreich praktisch in seinem Namen..was bei den französischen Königen häufig vorkam, im ^12. Jahrhundert beispielsweise regierte der Abt Suger im Namen des Königs LOuis VII.

  • Alienor de La Fére
    schau mal, ich habe da noch was zu den mittelalterlichen Rängen gefunden:


    Zitat

    Graf ist ein Adelstitel. Die althochdeutschen Formen grafio und gravo stammen wahrscheinlich über das mittellateinische graffio vom byzantinisch-griechischen γραφεύς (grapheus), der Schreiber. Der lateinische Begriff comes (frz. comte, ital. conte) war zu spätrömischer Zeit die Bezeichnung eines hohen kaiserlichen Finanzbeamten (comes largitionum). Im Merowinger- und Frankenreich war ein Graf königlicher Amtsträger, der in einer Verwaltungseinheit (Grafschaft, Gau) die königlichen Hoheitsrechte ausübte und in bestimmten Bereichen (Mark, Königsburg, Pfalz, Königsgut) Stellvertreter des Königs/Kaisers war. Der Graf war zunächst mit Wehrhoheit, später auch mit Gerichtsbarkeit, Finanz- und Verwaltungshoheit ausgestattet. Die Grafschaftsverfassung des Frankenreichs wurde von England (county), Frankreich, Spanien, Italien und Ungarn (Komitat) übernommen. Seit den Ottonen wandelte sich die Grafschaft vom ursprünglichen Dienstadel durch die zunehmende Erblichkeit des Grafentitels und die Einbindung ins Lehnssystem zum Geburtsadel. Bereits die Ottonen scheinen die Erblichkeit der Grafenämter und Lehen anerkannt und die gräflichen Territorialherrschaften akzeptiert zu haben.

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  • @Astrid


    Danke für die Info, und die Site ist auch echt interessant. Ich bin ja nicht nur vom 17. Jahrhundert und den Musketieren, sondern auch noch vom Mittelalter total begeistert.
    Dass man früher die hohen kaiserlichen Finanzbeamten zu römischer Zeit comte nannte, das hatte ich noch nicht gewusst.

  • Ich auch nicht.

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