Autors Note: Es waren sechs Wörter vorgegeben, aber keine Reihenfolge, in der sie auftauchen sollten. Spaßeshalber habe ich mir jedes Wort auf einen Zettel geschrieben und dann blind gezogen. Hier ist also meine festgelegte Reihenfolge:
Schuldschein, Gäßchen, Stadttor, Verfolgung, Reisender, Heiratsversprechen. Ich will gar nicht wissen, was dabei herauskommt. Na, wir werden sehen, ich übernehme auf alle Fälle keine Verantwortung für diesen Unsinn!
Die Chevrette
Die Sonne stand schon hoch am Himmel und in den Straßen von Paris herrschte ein geschäftiges Treiben, wie es an einem schönen Tag wie heute nicht anders zu erwarten war. Die Luft war frisch und klar, selbst hier mitten in der Stadt konnte man das Anbrechen des Frühlings in der leichten Brise geradezu schmecken und niemanden hielt es ohne wichtigen Grund in seiner Wohnung.
Umso verwunderlicher schien es, dass die Fenster eines Hauses in der Rue des Fossoyeurs noch durch Vorhänge abgedunkelt waren und sich dahinter nichts zu regen schien. Tatsächlich war es so, dass der Besitzer der Wohnung bisher noch nicht einmal sein Bett verlassen hatte, obwohl er doch sonst ein regelrechter Frühaufsteher war. Heute jedoch konnte man trotz der Tatsache, dass es bald Mittag war ein leises Schnarchen hören, das sich auch nicht durch das fröhliche Treiben draußen auf der Straße ablenken ließ. D'Artagnan schien seiner Gewohnheit, als Soldat mit dem ersten Sonnenstrahl aufzustehen, heute durchaus untreu geworden zu sein.
Erst als durch einen Spalt zwischen Vorhang und Fenster allmählich ein breiter Lichtstrahl auf das Kopfkissen und somit genau über die Augen des Schläfers fiel, regte dieser sich etwas, blinzelte kurz in das Licht und machte dann Anstalten sich einfach umzudrehen und weiterzuschlafen. Die Kirchturmglocke, die soeben anfing protestierend gegen das Vorhaben des jungen Mannes die elfte Morgenstunde einzuläuten, blieb ungehört und so verhallte schließlich auch der letzte Gongschlag. Es war wieder still in der kleinen Wohnung.
Einige Augenblicke rührte sich nichts, doch plötzlich saß d'Artagnan wie von der Tarantel gestochen aufrecht im Bett. Es war bereits früher Mittag?! Mit einem Satz wollte er aufspringen und zum Fenster eilen, um sich mit einem Blick auf die Turmuhr selbst zu vergewissern. Doch als er auf den Beinen stand, wäre er fast rückwärts wieder umgefallen und erneut in den Federn gelandet. Sein Schädel dröhnte nämlich plötzlich ganz fürchterlich, als wären die Glocken nicht mehr im Turm, sondern in seinem Kopf und setzten dort ihr lautes Konzert fort - mit dem Unterschied, dass es jetzt sehr disharmonisch und unendlich viel lauter klang.
Zwar fiel d'Artagnan nicht zurück ins Bett, aber ein leises Stöhnen, das mehr einem ersticktem Knurren gleichkam, konnte er nicht zurückhalten, als er nun die Finger zum Kopf hob und langsam seine Schläfen massierte. Was hatte er gestern nur getan um heute mit so einem Kater aufzuwachen? Er konnte sich in diesem Augenblick partout nicht erinnern, daran war wohl das Glockenspiel hinter seiner Stirn schuld.
Das Massieren schien etwas zu helfen. Zwar blieb ein leichter Druck zurück, aber immerhin konnte er sich jetzt bis zum Fenster bewegen, den Vorhang beiseite schieben und einen Blick auf die Uhr werfen. Tatsächlich, es war bereits 11.15 Uhr, der halbe Tag schon vorbei.
Siedendheiß fiel d'Artagnan plötzlich ein, dass er ja für heute um 11 Uhr als Wache am Louvre eingeteilt war. Etwas überstürzt und plötzlich ganz ohne Kopfschmerzen lief er zu seinem Kleiderschrank, wühlte sich etwas Passendes heraus und warf sich den Uniformrock über. Für eine Morgentoilette etwas ausführlicher Art war jetzt keine Zeit, er musste unbedingt so schnell wie möglich auf seinem Posten sein, vielleicht hatte der Hauptmann ja noch nichts bemerkt!
Der junge Musketier-Leutnant ahnte bereits, wie trügerisch diese Hoffnung war, da half auch das Wettrennen durch Paris' Straßen bis zum Louvre nicht viel. Denn als er endlich und völlig außer Atmen um die letzte Ecke bog, da wartete Monsieur de Tréville und ein weiterer Musketier (die Wache, die vergeblich auf ihre Ablösung gewartet hatte und nicht sonderlich glücklich aussah), bereits auf ihn. Der Blick seines Vorgesetzten sprach Bände, d'Artagnan wünschte sich bereits zurück in sein Bett um diesem Albtraum von einem Vormittag so schnell wie möglich wieder zu vergessen. Leider wurde ihm dieser Wunsch nicht erfüllt, stattdessen musste er mit gesenktem Blick eine unendlich lange Musterung über sich ergehen lassen, bis der Hauptmann der Musketiere ihn im scharfen Ton zurechtwies. "Monsieur, d'Artagnan, es ist mir eine Ehre, Euch auch schon so früh begrüßen zu dürfen. Habt Ihr wenigstens einen angenehmen Morgen gehabt?" - "Hauptmann, es..." - "Es scheint, als wäre Euer Morgen eher feucht-fröhlich gewesen, ja. Nun, aber immerhin konntet Ihr Euch ja schließlich doch noch dazu entschließen, auf Eurem Posten zu erscheinen. Allerdings lässt Euer Anblick einiges zu wünschen übrig."
Mit hochrotem Kopf musste sich der junge Mann eingestehen, dass sein frisch-aus-dem-Bett Aufzug wirklich nicht sonderlich dienlich für die Repräsentation der Musketier-Kompanie des Königs war. Zu allem Überfluss entdeckte er jetzt auch noch einen unschönen, längst eingetrockneten Rotweinfleck auf seiner Uniform, um seinem zerknitterten Aussehen noch den letzten Schliff zu geben. Auf die Vorwürfe seines Hauptmannes zu antworten war wohl überflüssig, zumal Tréville auch nicht bester Laune schien. Immerhin hielt sich der andere Musketier, Monsieur de Villers, wenn sich d'Artagnan richtig an den Namen des Mannes erinnerte, weitesgehend im Hintergrund. Er schien selbst am liebsten von hier verschwinden zu wollen.
Der Hauptmann fuhr fort. "Wie dem auch sei, Ihr scheint Euren Auftritt wenigsten etwas zu bereuen, ist dem so?" Ein kleinlautes "Ja." war die Antwort. "Leider kann ich bei Euch, auch wenn oder gerade weil Ihr mein Leutnant seid, keine Ausnahme machen, was die Bestrafung für dieses Versäumnis angeht. Da Monsieur de Villers hier gezwungener Maßen einen Teil Eurer Wache mit übernehmen musste, werdet Ihr dafür den nächsten Monat seine Wache für Euch einteilen. Habt Ihr verstanden?"
Verglichen mit dem, was d'Artagnan erwartet hatte, war das noch eine milde Bestrafung, auch wenn er im nächsten Monat die doppelte Arbeit leisten musste. Nun, besser als zur Ausnüchterung für drei Tage in den Arrest gesteckt zu werden. Er nickte also schuldbewusst und wartete auf Trévilles Antwort. "Gut. Dann geht jetzt nach Hause und sorgt dafür, dass Euer Aussehen nicht mehr dem eines Herumtreibers gleicht. Für heute will ich Euch nicht mehr sehen, wegtreten!"
Zwar war der Tonfall des Kommandanten noch immer sehr scharf, aber d'Artagnan war dankbar dafür, dass, wenn er schon im nächsten Monat doppelt soviel leisten musste, er den Rest des Tages wenigstens frei hatte. Vielleicht ließ Tréville noch einmal Gnade vor Recht ergehen, sich an seine eigenen Jugendtage erinnernd. D'Artagnan salutierte knapp und machte sich dann wieder auf den Weg nach Hause.
Dort angekommen schälte er sich zunächst einmal aus seiner Uniform heraus, die er sogleich in den Waschzuber warf. Vielleicht hatte er Glück und konnte den Flecken noch auswaschen, andernfalls musste er sich einen neuen Rock kaufen, von Geld, das er zur Zeit nur recht spärlich besaß. Es gab leider keine kostbaren Ringe mehr, die er seiner Ausrüstung wegen verkaufen konnte, darum musste das, was er besaß, solange wie möglich halten. Also schleppte er nun mühsam einen Eimer Wasser nach dem Anderen heran und füllte den Zuber auf. Wo war eigentlich Planchet, wenn man ihn brauchte?
Seit der Diener die Seargantstelle im Garderegiment erhalten hatte, fiel d'Artagnan von jedem Tag aufs neue auf, wie sehr er sich an seinen ehemaligen Diener gewöhnt hatte. Wäre er heute hier gewesen, dann hätte er seinen Herrn sicherlich rechtzeitig geweckt und auch irgendwie den Rotweinflecken aus der Uniform gezaubert. Nun, um Planchet nach zu trauern blieb jetzt keine Zeit, der Fleck musste endlich weg und selbst zu baden war sicherlich auch keine schlechte Idee.
Also zog sich der Musketier auch gleich noch sein Hemd über den Kopf und warf es achtlos auf den Tisch, gefolgt von Hose und Schuhen, wodurch einige Papiere in Bewegung gerieten und auf den Boden segelten, was d'Artagnan jedoch nicht weiter kümmerte.
Eine Stunde später war d'Artagnan gewaschen und gekämmt, die Kopfschmerzen waren völlig verflogen, nur eine Beule am Hinterkopf, die ihm während des Kämmens aufgefallen war, bereitete ihm etwas Sorge. Woher er die wohl hatte?
Um sich von diesem Rätsel abzulenken und auch von dem Ärgernis, dass der Rotweinfleck sich natürlich nicht in Wohlgefallen aufgelöst hatte und nun der Kauf einer neuen Uniform anstand, sammelte er die verstreut liegenden Zettel wieder ein, als ihm Einer besonders auffiel. Es schien ein Schuldschein zu sein, von einem gewissen Herrn Cottirez, über eine Summe von 200 Pistolen. Über den Fund eines solchen Papiers hätte sich der Musketier, der öfters in Geldnöten war sicherlich sehr gefreut, zumal die angegebene Summe nicht zu verachten war. Jedoch war sein Erstaunen viel größer, als seine Freude: Woher kam dieser Schuldschein bloß? Er konnte sich wirklich nicht daran erinnern, jemals einem Mann mit dem Namen Cottirez über den Weg gelaufen zu sein. Hatte das vielleicht etwas mit seinem unheimlichen Kater von heute Morgen zu tun, als er sich schon einmal fragte, was er gestern getan hatte?
Mit dem Papier in der Hand setzte sich d'Artagnan nachdenklich auf sein Bett und fing an zu überlegen. Gestern war eigentlich ein ganz normaler Tag gewesen: Am Morgen eine Wache, am Mittag ein paar Einkäufe und später eine Besprechung mit Monsieur de Tréville. Abends dann ein Besuch in der Wirtschaft "Zum..." Wie hieß sie gleich noch einmal?
Der junge Mann fasste sich an die Stirn, aber er konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern. Mit Sicherheit wusste er nur, dass er diese Taverne gestern zum ersten Mal in Paris gesehen hatte, und weil er sonst nichts zu tun hatte und er sich einen vergnüglichen Abend machen wollte, eingekehrt war. Obwohl er ohne seine drei Freunde Athos, Porthos und Aramis, die er nun alle schon so lange nicht mehr gesehen hatte, dort war, musste es ein sehr vergnüglicher Abend gewesen sein, wenn er am nächsten Morgen verschlief und mit einem furchtbaren Kater und einem kleinen Gedächtnisverlust aufwachte. D'Artagnan besah sich den Zettel noch einmal genauer.
"Der Inhaber dieses Scheines ist dazu berechtigt, von Herrn Cottirez die Summe über 200 Pistolen nach Aushändigung dieser Quittung zu verlangen.
Festgelegt am 14. April, 1639 im Wirtshaus zum goldenen Fasan, Paris."
Da war der Hinweis, nachdem der Musketier gesucht hatte. Zwar konnte er sich selbst immer noch nicht erinnern, was gestern vorgefallen war, aber ein erneuter Besuch in diesem Wirtshaus sollte doch Aufklärung bringen.
Also verließ d'Artagnan seine Wohnung und suchte nach der Wirtschaft, indem er sich bei Passanten durchfragte, bis ihm einer schließlich den richtigen Weg zeigen konnte. Das Gasthaus "Zum goldenen Fasan" lag in einer nicht sehr belebten Straße von Paris, sie glich mehr einem Gäßchen verglichen mit den einladend breiten Hauptstraßen der Stadt. Jedoch war die Wirtschaft selbst umso belebter, selbst jetzt, am frühen Nachmittag war bereits allerhand los und d'Artagnan suchte lange, bis er einen freien Platz ergattern konnte. Als er ihn schließlich gefunden hatte musste er nicht lange warten, bis eine hübsche, junge Dienstmagd kam, die ihm, statt ihn nach seinen Wünschen zu fragen, ziemlich keck ins Gesicht sagte: "Na Monsieur, Euch scheint es gestern wirklich gut hier gefallen zu haben. Erst wolltet Ihr gar nicht gehen und jetzt seid Ihr bereits am frühen Mittag wieder da, obgleich Ihr gestern noch laut bedauert habt, dass Euch Euer Dienst heute wohl verhindert. Oder seid Ihr am Ende gar kein Musketier, wie Ihr heute Nacht noch behauptet habt und Eure Uniform war nur gestohlen?"
D'Artagnan erwiderte gar nichts, zu erstaunt war er über das, was ihm da gerade unverblümt gesagt worden war. Die junge Frau wiederum deutete sein Schweigen falsch und beeilte sich beschwichtigend zu sagen: "Monsieur, es tut mir leid, ich wollte Euch nicht beleidigen. Kann ich Euch etwas bringen?"
"Wein, bitte!" ,brachte der Musketier trotz seiner Überraschung hervor und die nun sehr diensteifrige Frau verschwand wieder. Zum wiederholten Mal heute fragte d'Artagnan sich, was er gestern nur getan hatte. Zum wiederholten Mal fand er auch jetzt keine Antwort - allerdings schien ihn diese Dienstmagd dort wiederzuerkennen, vielleicht konnte sie ein wenig Licht in die Angelegenheit bringen. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann kam sie ihm auch irgendwie bekannt vor. Hieß sie nicht ... Madeleine? Sie hatte ihn gestern schon bedient, oder? Ja, soweit konnte er sich nun erinnern. Aber davon abgesehen an nichts anderes mehr. Wie war er gestern eigentlich nach Hause gelangt, wenn er so betrunken gewesen war, wie es ihm sein Kater heute Morgen deutlich zu machen versucht hatte?
Bevor er darüber weiter nachdenken konnte, kehrte auch schon Madeleine mit dem Wein zurück. D'Artagnan bedankte sich bei ihr und hielt sie zurück, als sie schon wieder gehen wollte. "Ihr seid - Madeleine, richtig?" Die junge Frau lächelte und setzte sich zu ihm an den Tisch. "Ihr könnt Euch an mich erinnern? Monsieur, um ganz ehrlich zu sein, hätte ich das eben fast nicht mehr für möglich gehalten. Es tut mir leid, wenn ich Euch beleidigt haben sollte, es war keine Absicht, dabei schulde ich Euch doch schon soviel." - "Ihr schuldet mir etwas? Ich weiß nicht, was Ihr meint, aber Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Ihr habt mir nicht beleidigt. " - "Oh, Ihr könnt Euch wirklich nicht erinnern? Nunja, bei dem Schlag auf den Kopf, den Ihr gestern erhalten habt, ist das eigentlich kein Wunder..."
Ein Schlag auf den Kopf??? Das würde immerhin die Beule erklären. "Madeleine, Ihr scheint mir eine ehrliche und noch dazu sehr schöne junge Frau zu sein. Leider kann ich mich, bei Gott, wirklich an nichts mehr erinnern. Vielleicht könntet Ihr mich ein wenig aufklären?" Die junge Frau nickte und lächelte freundlich zu diesem Kompliment, erhob sich dann aber wieder von ihrem Platz, denn es warteten noch andere Gäste darauf, bedient zu werden. Bevor sie ging, sagte sich noch: "Das will ich gerne tun, wartet bitte heute Nacht nach der Polizeistunde am westlichen Stadttor auf mich." - "Warum ausgerechnet am Stadttor?" - "Ich wohne etwas außerhalb von Paris und muss jeden Abend dort vorbei. Es ist also recht unauffälig, wenn wir uns dort treffen." D'Artagnan wusste zwar nicht, warum es der jungen Frau so wichtig war, unauffällig zu sein, aber er stimmte schließlich zu und ließ Madeleine ihre Arbeit fortsetzen.
Der Musketier hatte zwar noch nichts erfahren, was ihn über diesen Schuldschein aufklären konnte, aber immerhin schien die Dienstmagd bereit zu sein, ihm auf die Sprünge zu helfen. Es machte nichts, dass er damit noch bis knapp nach Mitternacht warten musste, soviel Geduld konnte er für die junge Frau durchaus aufbringen.
Also trank er bald seinen Wein aus, der im Übrigen ganz vorzüglich schmeckte. Es war kein Wunder, dass bei diesem köstlichen Wein die Wirtstube so gut mit Gästen gefüllt war. Zu schade, dass der Musketier gestern Nacht anscheinend etwas von dem Getränk über seiner Uniform verteilt hatte, was seinen Geldbeutel nun umso mehr ärgerte. Aber er hatte ja noch diesen Schuldschein und damit war diese Sorge hoffentlich bald gelöst.
Gut gelaunt verließ er das Gasthaus wieder und schlenderte durch die Straßen zurück in die Richtung seiner Wohnung, die er seit seinem Einzug in Paris nun schon bewohnte. Sie hatte den großen Vorteil, dass er keine Miete zahlen musste, allerdings konnte es jederzeit passieren, dass irgendwer das Haus kaufte und ihn damit auf die Straße setzte. Leute, die zu Geld gekommen waren und es nun in Häusern anlegen wollten, gab es zu Hauf', es war nur noch eine Frage der Zeit. D'Artagnan wusste, dass er sich möglichst bald nach einer neuen Bleibe umsehen musste, aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Dieses Problem belastete ihn jedoch nicht allzu sehr, in Gedanken war er bereits bei dem Rendezvous am Stadttor. So bemerkte er auch nichts von der Verfolgung durch eine zwielichtige Gestalt, die ihm, seit er das Wirtshaus verlassen hatte, auf den Fersen war. Sie blieb auch in der Nähe, als der Musketier seine Wohnung schließlich erreicht hatte und für die nächsten Stunden nicht mehr verließ. Als es für d'Artagnan Zeit wurde, zum Stadttor aufzubrechen, war die Gestalt verschwunden.
Eine halbe Stunde später bog d'Artagnan auf die Straße zum Stadttor ein. Er war noch recht früh und von Madeleine noch keine Spur zu sehen, also lehnte sich der Musketier an eine dunkle Hauswand und wartete ab. Er vertrieb sich die Zeit, indem er die wenigen Leute, die hier zu dieser späten Stunde noch vorbei kamen, musterte. Ein Reisender, der soeben das Tor passier hatte, fiel ihm plötzlich auf. Ihm lief ein Mann entgegen, den d'Artagnan bis dahin noch gar nicht bemerkt hatte, der aber schon eine ganze Weile ebenfalls in seiner Nähe gestanden haben musste, denn er löste sich einfach aus dem Schatten der hohen Häusermauern. Er unterhielt sich recht angeregt mit dem Reisenden, der ab und an einen Blick in eine bestimmte Richtung warf, die Straße hinunter, die tiefer in die Stadt hineinführte. D'Artagnan zog sich etwas weiter in den Schatten seiner eigenen Hauswand zurück und folgte dem forschenden Blick des Fremden. Dort hinten war gerade der Umriss einer weiteren Person aufgetaucht, noch zu weit entfernt, um etwas erkennen zu können. Der Reisende schien jedoch genau zu wissen, um wen es sich handelte, denn er schickte seinen Gesprächspartner fort und wartete dann verdeckt durch den breiten Bogen des Stadttores auf das Eintreffen der Gestalt.
Mit einiger Neugier verfolgte der Musketier das Geschehen und war nicht wenig überrascht, als sich die Umrisse, die er auf der Straße gesehen hatte und die nun mit schnellen Schritten an ihm vorüber ging ohne ihn zu bemerken, sich als die Gestalt einer ihm wohlbekannten jungen Frau entpuppte.
Madeleine hatte die Kapuze ihres Mantels tief ins Gesicht gezogen und warf immer wieder unsichere Blicke nach allen Seiten. Zu spät bemerkte sie den Reisenden, der sich plötzlich mitten vor ihr auf der Straße aufbaute und sie zum Anhalten zwang. Weniger ängstlich als vielmehr überrascht, wich sie einen Schritt vor dem Mann zurück und fragte dann mit fester Stimme: "Cottirez, was wollt Ihr?"
Der Reisende lächelte spöttisch und fragte zurück: "Aber, aber Madeleine! Spricht man so mit seinem Verlobten? Als brave und fügsame Frau solltet Ihr das nicht tun." - "Wer sollte mich daran hindern? Zu Eurer Erinnerung, ich bin nicht Eure Verlobte." - "Und was ist mit dem Heiratsversprechen, dass Ihr mich einst gegeben habt?" - "Euch! Ich habe Euch niemals etwas derartiges versprochen. Das müsst Ihr im Suff geträumt haben!" - "Madeleine, ich warne Euch! Spielt nicht mit mir und reizt mich nicht! Ihr habt gar keine andere Wahl, als mich zu ehelichen. Woher sonst wollt Ihr genug Geld zum Leben nehmen? Was ist mit der Quittung, die ich Euch gestern erst gab?"
Bis zu diesem Punkt hatte d'Artagnan ruhig zugehört, neugierig, was es mit diesem Cottirez auf sich und was er mit Madeleine zu schaffen hatte. Als nun von dem Schuldschein gesprochen wurde, wurde er noch um einiges hellhöriger. Madeleine verteidigte sich mit giftigen Worten.
"Ich wollte Euren Schuldschein nicht, aber Ihr habt ihn mir, betrunken wie Ihr gestern ward, aufzwingen wollen! Ich habe ihn genommen und weggeworfen, auf das Ihr ihn wieder einsammeln könnt! Ich weiß nicht, wo er jetzt ist!" - "Nein, aber ich weiß es. Dieser kleine Musketier gestern, der hat ihn. Gebt es doch zu, dass Ihr eine Liaison mit ihm habt!" - "Aus diesem Grund habt Ihr diesem unschuldigen Mann gestern also auf der Straße aufgelauert und ihn schließlich niedergeschlagen? Bravo! Ihr ward so betrunken, dass Ihr nicht einmal daran gedacht habt, was Euch blühen könnte, Monsieur! Seid froh, dass sich Euer Opfer nicht erinnern kann, sonst hättet Ihr heute keinen Fuß nach Paris gesetzt! Das alles nur, weil Ihr eifersüchtig ward! Gebt es auf, ich werde Euch niemals nachgeben, Cottirez!"
Madeleine war während ihrer Rede immer lauter geworden und stand nun, die Arme in die Hüften gestemmt, vor dem vor Wut kochenden Reisenden. "Mademoiselle, Ihr habt Euch zuviel herausgenommen. Ihr werdet meine Frau, ob Ihr es wollt oder nicht und wenn ich Euch entführen muss. Diesen Schuldschein werde ich auch noch wiederbekommen, dafür werde ich schon sorgen. Spätestens, wenn Euer Freund kommt und ihn einlösen sollte. Dann wird er die Trachtprügel dafür beziehen, sich hinter meinem Rücken mit meiner Verlobten vergnügt zu haben!"
Mit diesen Worten packte er Madeleine, die sich laut rufend zur Wehr setzte und heftig in Cottirez' Armen anfing zu zappeln. Dem konnte d'Artagnan nicht länger unbeteiligt zusehen, zumal seine Ehre gerade angezweifelt worden war. Er stürzte aus dem Schatten mit gezogenem Degen hervor und rief dem Reisenden zu: "Hey, Cottirez! Ihr wollt Euren Schuldschein? Dann holt ihn Euch doch!"
Cottirez lachte auf und ließ Madeleine los, die sofort außer Reichweite des verhassten Mannes lief, in Richtung von d'Artagnan. Mitten im Lauf stoppte sie jedoch und stieß einen Warnruf aus. Der Musketier wirbelte herum und konnte gerade noch den Schlag mit dem Knüppel abwehren, den der Gesprächspartner von vorhin auf ihn hinuntersausen ließ. Zweimal innerhalb von zwei Tagen den selben Trick anzuwenden!
D'Artagnan war wütend. Erstens darüber, dass er sich immer noch nicht daran erinnern konnte, wie dies alles hier geschehen war, obwohl im der Streit zwischen Madeleine und Cottirez zumindest teilweise aufgeklärt hatte. Zweitens darüber, was für ein Schuft der Reisende war (und in was für eine dämliche Geschichte die Autorin ihn wieder gestürzt hatte... :lookaround:) So schlug er den Knüppel seines Angreifers beiseite, der ob der Wehrhaftigkeit seines Opfers sofort reißaus nahm. Anschließend lief er zu Cottirez, der sichtlich überrascht war, dass sein kleines Manöver schiefgegangen war und der nun verdattert die Degenspitze an seinem Hals fühlte und sich nicht rührte.
Nachdem Cottirez von d'Artagnan gestellt worden war, hatte dieser seinen ganzen feigen Charakter offenbart. Er hatte gewimmert und um Gnade gebettelt, die er auch großzügig vom Sieger erhielt, der ihn dann wegen Überfalls und versuchter Entführung der Polizei überantwortete.
Madeleine war äußerst dankbar, von dem Tyrann in ihrem Leben befreit worden zu sein und unterhielt sich im darauffolgenden Tag mit ihrem Retter in dessen Wohnung über das, was denn nun wirklich passiert war. D'Artagnan ließ sich sprechen, ohne sie zu unterbrechen.
"Cottirez kam schon völlig betrunken an dem Abend ins Gasthaus. Ich war gerade dabei, Euch zu bedienen, als er auf mich zu gewankt kam und mir einen Zettel zusteckte. Es war dieser Schuldschein, der Euch soviel Ärger gebracht hat. Er wollte mich zwingen, den Schein anzunehmen und dafür seine Frau zu werden. Aber ich konnte nicht. Sicher, es gibt eine Menge unglücklich verheirateter Frauen in Paris, aber diesen Weinschlauch konnte ich mir bei Gott nicht antun, auch wenn sein Geld sehr verlockend war. Ihr müsst nämlich wissen, durch eine Erbschaft ist mir ein leerstehendes Haus in der Rue Tiquetonne zugefallen. Mit etwas Geld könnte es mir gelingen, dort selbst einen Gasthof zu eröffnen und Zimmern zu vermieten.
Nun, ich nahm also diesen Zettel und warf ihn wütend auf den Tisch. Cottirez drohte mir, dass ich den Zettel nehmen solle. Er wandte sich fort und meinte, wenn er sich erneut umdrehe, wolle er die Quittung nicht mehr auf dem Tisch sehen. Ich weigerte mich, obgleich ich wusste, was für ein brutaler Mann er im betrunkenen Zustand sein konnte. Doch tatsächlich war der Zettel fort - Ihr habt ihn an Euch genommen, dafür schulde ich Euch etwas, denn Ihr habt mich an diesem Abend vor Schlimmeren bewahrt. Vor allen Dingen auch dadurch, dass Ihr nicht wütend geworden sein, als Cottirez in seinem Taumel ausversehen Euer Glas umstieß und sich der Inhalt über Eurer Uniform vergoss. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wäre ein Streit ausgebrochen. Cottirez verließ zufrieden das Gasthaus und ich spendierte Euch von meinem Lohn den Wein, der Euch auch heute so gut geschmeckt hat.
Ich gebe es zu, es war meine Schuld, dass auch Ihr später recht angeheitert wart, dass Ihr mir allerhand aus Eurem Leben erzähltet, wo Ihr wohnt, wer Ihr seid... Ihr wollte ja gar nicht mehr gehen!
Leider war Cottirez nicht allein im Gasthaus gewesen, sein Handlanger, der Euch einmal niederschlug und einmal niederschlagen wollte, hatte gesehen, wie Ihr den Zettel nahmt. Als es nun auf die Polizeistunde zuging und Ihr die Wirtschaft in Richtung Eurer Wohnung verließet, da lauerten Cottirez und der Andere Euch auf und schlugen Euch nieder. Zum Glück kam eine Rounde der Nachtwache in diesem Moment vorbei, sodaß die Verbrecher verschwanden, wenn auch unerkannt. Der Schuldschein blieb also weiterhin bei Euch. Zufällig führte mein Weg zum Stadttor durch die Straße, in der Ihr überfallen wurdet, so bat ich die Nachtwache schließlich, Euch nach Hause zu bringen, da ich ja wusste, wo Ihr wohnt.
Am nächsten Tag ward Ihr wieder in der Wirtschaft und ich war froh, dass Euch weiter nichts passiert zu sein schien, als ein paar Kopfschmerzen. Darum auch mein etwas frecher Empfang, verzeiht. Als ich dann merkte, dass Ihr Euch anscheinend an nichts erinnern könnt, musste ich Euch natürlich aufklären, damit Ihr vor Cottirez sicher seid. In der Wirtschaft ging das allerdings schlecht, weil dort jederzeit dieser Handlanger sein konnte, um uns zu belauschen. Er war wohl tatsächlich dort und ich will gar nicht wissen, was er Cottirez erzählt hat, um sich bei ihm beliebt zu machen. Eine Liaison! Cottirez muss außer sich gewesen sein, der Tollkopf. Gott sei dank sind wir ihn nun los!"
"Dafür könnt Ihr wirklich dankbar sein. Wie habt Ihr diesen Mann bloß kennengelernt?" - "Er war jeden Abend in diesem Gasthaus. Völlig betrunken muss er von dem Gedanken besessen gewesen sein, mich heiraten zu wollen, da ich seine Annäherungsversuche jedes Mal ausschlug. Das Gestern jedoch war zuviel!"
Während d'Artagnan sich mit Madeleine unterhielt, wuchs in ihm eine Idee. Eine recht praktische und angenehme obendrein. "Madeleine, ich weiß, wie Ihr zu dem Geld kommen könnt, um Euer Gasthaus zu eröffnen. Nehmt den Schuldschein und klagt das Geld von Cottirez ein." "Monsieur, das kann ich nicht, der Schein gehört Euch, als Entschädigung für all die Unannehmlichkeiten der letzten Tage." - "Nehmt ihn nur, nehmt! Alles, was ich für mich erbitte, ist ein Zimmer in Eurem neuen Gasthof, in dem ich wohnen kann, denn ich werde hier wohl bald ausziehen müssen." - "Monsieur, das ist nur ein sehr geringer Preis für Eure Großzügigkeit. Ich danke Euch aus tiefstem Herzen."
D'Artagnan lächelte die hübsche Madeleine an. Ja, das war doch eigentlich ein ganz guter Tausch...
Autor's Note 2: So, ich habe fertig! Und obwohl Deutschland heute nicht Weltmeister geworden ist, hoffe ich, dass Ihr nun wenigstens etwas zu lachen hattet. Nehmt um Himmels willen diese Mini-Fanfiction nicht zu Ernst, ich musst mich selbst nach den zwei Brasilianer - Toren wieder aufmuntern. :wink: