Die Füße im Feuer
Er lag auf dem Tisch in d'Artagnans Bleibe in der Rue des Fossoyeurs, beleuchtet von den zuckenden Flammen des Kaminfeuers, das an diesem kühlen Herbstabend sehr unruhig brannte. Sein Gesicht war in einer grausigen, höhnischen Fratze erstarrt, beinahe als lache er über die Worte, die von wütender Hand gleich mehrfach in groben Strichen rings um seinen Kopf geschrieben worden waren - "Ungerechter Pfaffe!" - oder über Aramis' gemurmeltes Gebet, das aus einer Ecke des Raumes herüberdrang.
Porthos, den Blick auf den Tisch gerichtet, schüttelte bereits zum dritten oder vierten Mal an diesem Abend den Kopf. "Das hätte ich Rochefort nicht zugetraut..." bemerkte er, ebenfalls zum wiederholten Male.
Athos nickte sinnend und wandte den Kopf zu d'Artagnan, der eben erst von der Seite des Zimmers, auf der Rochefort auf dem Bett des Musketiersleutnants ausgestreckt lag, zurückgekehrt war. "Wie geht es ihm inzwischen?"
D'Artagnan seufzte. "Was erwartet Ihr? Immer noch sturzbetrunken, das vergeht nicht so rasch... Es muß ihn wahrhaftig hart getroffen haben, daß sein Dienstherr die Abtei von Montier-en-Der nicht seinem Bruder, sondern ausgerechnet einem von Trévilles Schwägern zugesprochen hat... Als ob es nicht weitere freie Abteien gäbe, von denen der Kardinal gewiß Monsieur de Rochefort dem Jüngeren eine geben wird!"
- "Aber an Montier muß sein Herz gehangen haben... Ansonsten hätte er sich wohl kaum trostsuchend zu Euch begeben und betrunken..." bemerkte Athos. D'Artagnan nickte. "Gewiß nicht... Und er hätte wohl kaum... das hier getan." Er deutete auf den Tisch. Porthos schüttelte abermals den Kopf. "Nein, gewiß nicht... Welch eine... Tat. Was tun wir denn nun mit... ihm?" - "Wir sollten ihn verbrennen", befand Athos, "allein schon zu Monsieur de Rocheforts Schutz... Wenn er wieder bei Sinnen ist, wird er uns nur dankbar sein." - "Oh ja", meinte d'Artagnan mit einem Nicken, "seine Handschrift ist überdeutlich zu erkennen bei diesem... Verbrechen - er wird uns dankbar sein!" - "Verbrennen?" vergewisserte sich Porthos.
Zitat"Ja", bemerkte d'Artagnan,"Athos hat recht, wir müssen ihn verbrennen. Und wer weiß, ob der Herr Kardinal nicht sogar das Geheimnis kennt, wie man in der Asche liest."
"So ein Geheimnis wird es sicher geben!", meinte Athos.
"Meint Ihr wirklich?" erkundigte sich Porthos erstaunt und schlug sicherheitshalber ein Kreuz; das verdächtige amüsierte Funkeln in Athos' Augen war ihm vollständig entgangen. D'Artagnan verbiß sich das Lachen. "Gewiß, Porthos..." erwiderte er, um dann den auf dem Tisch Liegenden zu ergreifen und ihn mit den Füßen voran ins Feuer zu befördern.
Er hatte nicht mit Aramis gerechnet, der in diesem Augenblick sein Gebetbuch fallenließ, mit katzengleicher Gewandtheit an d'Artagnan vorbeistürzte und das Blatt Papier mit der höchst gelungenen Karikatur Seiner Eminenz, die ein bereits halb betrunkener und vollständig erzürnter Rochefort früher am Abend zustandegebracht hatte, gerade noch rechtzeitig wieder dem Feuer entriß. Die Füße des Kardinals waren zwar nicht mehr zu retten, doch erwies sich, sobald die letzten Flämmchen gelöscht waren, daß der Rest des Zettels durchaus halbwegs unbeschädigt geblieben war.
"Was tut Ihr, Aramis?!" rief d'Artagnan, halbwegs entsetzt. "Wir müssen das Papier verbrennen, was, wenn der Kardinal es in die Hände bekäme?"
Aramis ging nicht auf diese Frage ein. "Ich muß Euch darauf aufmerksam machen, Messieurs, daß Ihr gerade dabei wart, das Bildnis eines hohen Geistlichen zu verbrennen, ihn gewissermaßen in effigie dem Feuer zu überantworten." bemerkte er mit Würde, indem er das gerettete Papier sicher in seiner Tasche verstaute. "Das konnte ich nicht zulassen." Damit sammelte er sein Gebetbuch auf und wandte sich zum Gehen.
Es dauerte einen Augenblick, bis die drei übrigen Musketiere sich aus ihrer Erstarrung lösten. Porthos war der erste, der, nach einem weiteren Kopfschütteln, wieder zu sprechen begann. "Was hatte er denn?" fragte er, ehrlich verwundert. "Wäre es so schlimm gewesen, den Zettel zu verbrennen?"
"Nein." erwiderte Athos trocken. "Aber unser dem Geistlichen Leben zugewandter Freund wird einen eifrigen Fürsprecher in Monsieur de Rochefort haben, wenn die nächste Abtei durch Seine Eminenz vergeben wird... Ihr hättet das Papier gleich verbrennen sollen, d'Artagnan - es uns zu zeigen war kein glücklicher Gedanke!"
"Im Nachhinein ist man immer klüger", entgegnete d'Artagnan seufzend. "Aber, Messieurs, Ihr müßt mir den Gefallen tun, bis morgen hierzubleiben - allein bringe ich Rochefort nicht bei, welche Wendung diese Sache genommen hat!"
P.S.: Der Titel ist natürlich dem berühmten Gedicht von C.F. Meyer entnommen - aber ich wollte mich Silke anpassen, die ja auch schön zitiert hat...