Was ist wahre Freundschaft?

  • Aramis


    Da kann ich dir nur Recht geben, gerade diese Unterschiedlichkeit der Charaktere der vier macht den Roman so interessant.
    Die vier waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht, und dennoch lautete ihr Motto "Einer für alle und alle für einen"; das ist schon faszinierend. Womöglich hat Dumas ja in den Musketieren seine eigenen Ansichten zum Thema Freundschaft eingebracht, vielleicht hat er ja neben seinen eigenen Charaktereigenschaften auch welche seiner Freunde in den Roman einfließen lassen.
    Erstaunlich finde ich auch, dass die Freundschaft von Athos und Aramis nicht an der Geschichte mit der Chevreuse zerbrach...ich habe mich beim Lesen der Romane immer gefragt, ob Aramis überhaupt jemals erfuhr, wer Raouls Mutter war.
    Ich stimme dir voll und ganz zu, so eine Freundschaft ist wirklich heutzutage selten, aber wahrscheinlich war das auch zu Dumas Zeiten schon eine Seltenheit, und er wollte im Roman zeigen, dass eine Freundschaft trotz unterschiedlicher charakterlicher Eigenschaften und Interessen auch eine gute Freundschaft sein kann.

  • @Alienor
    Danke, dass du diesen Punkt erwähnt hast: Athos` und Aramis` intimes Verhältnis zur Chevreuse, und dass dies ihrer Freundschaft laut Dumas keinen Abbruch tat. Das kommt mir auch ein wenig spanisch vor. Und es gibt hier ja auch in der FF-Abteilung eine sehr gute Geschichte, die dieses Dreiecksverhältnis und Aramis` unverhoffte Erkenntnis, wer Raouls Mutter und Vater sind, und seine heftige Reaktion darauf einfühlsam und anschaulich schildert. Ich weiß jetzt dazu nur aus den VAA, dass die Beziehung zwischen Aramis und der Chevreuse geraume Zeit passé ist (seit wie lange weiß ich allerdings nicht, ich glaube, das geht auch nicht so klar hervor), und die beiden sich überraschend beim Dichter Scarron im Beisein von Athos und Raoul wieder treffen und anscheinend, soweit ich das verstanden hab, einander nicht viel zu sagen haben. Aramis ist da bereits mit Madame de Longueville liiert.

  • Aramis


    Ich habe ja von allen Romanen zuerst die stark gekürzte Version des Mannes in der Eisernen Maske gelesen, und daraus ging gar nicht hervor, dass die Chevreuse Raouls Mutter ist, ich dachte früher immer, bevor ich den Musketierroman gelesen habe, dass es wohl Mylady gewesen sein müsste(damals kannte ich die zeitlichen Abstände zwischen den Romanen noch nicht so gut).
    Erst hier im Forum habe ich dann gelesen, dass Raoul der Sohn der Chevreuse war, und da hatte ich mich doch sehr gewundert, weil ich da gerade zum ersten Mal den Musketierroman las, und sie da die Geliebte von Aramis war, und sogar in dessen Wohnung zeitweise lebte.
    Auch wenn Aramis nicht mehr in die Chevreuse verliebt war, so muss es ihm doch ein wenig zu schaffen gemacht haben, dass Athos einen Sohn mit ihr hatte.
    Wie war das denn eigentlich, als sie sich an dieser Stelle im Roman bei Scarron trafen, und Raoul und Athos dabei waren, konnte man denn da herauslesen, ob Aramis über Raouls Herkunft Bescheid wusste?
    Dass er aber genau zu jener Zeit mit Madame de Longueville liiert war, und sie ein Kind von ihm erwartete, dürfte die Lage vielleicht etwas entschärft haben.
    Aber fraglich ist, ob Aramis seinem Freund geglaubt hätte, dass dieser nicht wusste, dass er das Lager mit der Chevreuse teilte...für manch einen musste diese Geschichte doch sehr kurios klingen..

  • Laut Athos`Aussage in den VAA hat er Raoul schon oft von Aramis erzählt. Raoul scheint den Freund seines Vaters also nur aus Erzählungen zu kennen, und man hat den Eindruck als träfen sie sich bei Scarron zum ersten Mal. Allerdings schreibt Dumas nichts Definitives über die Begrüßung zwischen Raoul und Aramis - man kann sich da kein genaues Bild machen, ob Aramis Raoul schon kennt oder nicht.
    Das Auftauchen der Chevreuse in dieser Runde hat Dumas (in meiner Übersetzung ) so beschrieben:
    "Trotz all der ehreerbietigen Komplimente, mit denen die Herzogin empfangen wurde, vermisste sie deutlich etwas oder jemanden. Erst nachdem sie Raoul bemerkt hatte, begannen ihre Augen zu strahlen. Bei Athos`Anblick wurde ihr Blick träumerisch, und als sie Aramis gewahrte, verbarg sie ihr Erstaunen hinter ihrem Fächer. Es schien, als drängten sich ihr Gedanken auf, die sie zu verscheuchen wünschte - "
    Hm, wohl ein interessanter Ausgangspunkt für eine FF, nicht wahr?
    Ein bisschen später nähert sich Aramis dann dem Kreis um Madame de Chevreuse und grüßt sie respektvoll, was sie mit "einem anmutigen Lächeln" beantwortet. Dann trägt er im Kreise aller ein Gedicht von Monsieur de Voiture vor, dessen 2. Strophe lautet:
    "Ich denke, Sie müssen auf Amor verzichten,
    Weit ist er von Ihrem Hofe verbannt,
    Sie sehen seinen Charme, seine Züge mitnichten,
    Er hat seinen Pfeil von Ihnen gewandt.
    Marie, viele dienten Ihnen selbstvergessen,
    Doch Sie behandeln die Freunde nicht gut.
    So fragte ich mich, als ich hier gesessen,
    Ob Marie es mit mir einst genauso tut."
    Das klingt für mich wie ein netter, abgefeimter Seitenhieb in Richtung seiner ehemaligen Geliebten, die demnach also offenbar ihn verlassen hat, nicht er sie (das war ein Anhaltspunkt für meine FF damals)
    Madame de Chevreuse antwortet: " Oh, was die letzte spitze Bemerkung angeht, so bezweifle ich, ob sie den Regeln der Dichtkunst entspricht, aber man muss es ihm verzeihen, er sagt die Wahrheit."
    Naja.

  • Aramis


    Danke für das Posten dieser interessanten Stelle, in meiner Version des VAA fehlten sie leider gänzlich.
    Ich hatte beim Lesen des VAA häufiger den Eindruck, dass es zwischen der Chevreuse und Athos durchaus so etwas wie eine tiefe Zuneigung, womöglich sogar Liebe entstand, dass ihr Blick bei seinem Anblick träumerisch wurde, sagt ja auch schon viel aus. Umso verwunderlicher ist es, dass sie im VdB keinerlei Kontakt mehr mit Athos zu haben scheint. Für sie muss es natürlich unangenehm gewesen sein, beide Freunde auf dieser Veranstaltung zu treffen..und Aramis Gedicht könnte duraus aus Seitenhieb verstanden werden, wenn man bedenkt, dass sie es war, die ihn verlassen hat.
    Ja, du hast Recht, dieser Abend bei Scarron wäre durchaus ein interessanter Ausgangspunkt für eine FF, da könnte man eine komplizierte Dreiecksgeschichte daraus machen.
    Was ich mich auch immer beim Lesen des VAA frage, ist, ob Raoul überhaupt jemals erfuhr, dass die Chevreuse seine Mutter war. In meiner Version stellt er Raoul die Chevreuse nur als gute alte Freundin vor, und da weiss er ja auch noch nicht, dass Athos sein Vater ist. Es wird nur noch irgendwo erwähnt, dass sie mehrmals Athos und Raoul auf Bragélonne besucht hat.
    Im VdB gibt es noch eine Szene, wo Aramis die Chevreuse aufsucht, und diese Stelle habe ich damals nicht gleich verstanden, weil ich da die Musketiere und den VAA nicht gelesen hatte, jedenfalls redete er sehr abfällig ihr gegenüber, das begriff ich erst, als ich die beiden anderen Romane gelesen hatte. Anscheinend war er später nicht mehr allzu gut auf sie zu sprechen. Ich glaube, diese Szene ist ganz am Anfag des VdB(die gekürzte eiserne Maske Version), und irgendwie sagt Aramis ihr da auch noch ganz abfällig, dass die Zeit es nicht gut mit ihr gemeint hätte, oder so ähnlich.
    Auf jeden Fall hat Dumas das gut hinbekommen...denn da ist wieder dieser Überraschungseffekt, für Menschen, die die Romane noch gar nicht kennen. Keiner der Leser des ersten Romanes würde erwarten, dass ausgerechnet Athos nach zwanzig Jahren als einziger einen Sohn haben würde.
    Ich frage mich ja immer, ob Dumas nach einer fertig festgelegten Storyline geschrieben hat, oder ob er selbst immer wieder von neuen Ideen überrascht wurden, die seine ursprüngliche Planung über den Haufen warfen.

  • @Alienor
    Ich glaube, dass Raoul nicht darüber im Bilde war, dass die Chevreuse seine Mutter war - vielleicht zu ihrem Schutz, denn sie war ja (noch verheiratete?) Herzogin und hatte einen Ruf zu verlieren. Dass sie es war, die Aramis verlassen hat und nicht umgekehrt, schließe ich aus dem Gedicht, das er bei Scarron vorträgt - Genaueres dazu wird, glaub ich, nirgends erwähnt.
    Was den VdB anbelangt, meinst du wohl das Kapitel "Deux vieux amis", nehme ich an - ich hab das in einem anderen Thread schon mal erwähnt, glaub ich. Aramis kommt da, laut Dumas`Beschreibung, sehr gut weg, während die Chevreuse als altes, hinfälliges Wrack dargestellt wird. Nicht sehr schmeichelhaft, für sie. :thumbup:
    Ich glaube, Dumas wollte seine Helden durch alle Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz führen - Athos` zerstörte erste Ehe mit Mylady, ohne Nachkommen, und dann zeugt er doch noch einen Sohn - der arme Raoul ist eigentlich nur dazu da, um das zu gewährleisten. Porthos` eklatanter Materialismus, der sich dann in wahren Idealismus und Heldentum wandelt, Aramis` Lavieren von einem Extrem ins andere, auch gefühlsmäßig, von totaler Kälte bis höchste Liebe und tiefstem Schmerz, und D´Artagnan, der in den 3 Musketieren selbstbewusst von sich selber sagt, er hätte halt einfach Glück, in allem, und der dann dennoch karrieremäßig stagniert, bis zu seinem Ende.

  • Aramis


    Das stimmt, wenn eine verheiratete Herzogin im 17. Jahrhundert ein außereheliches Kind hatte, dann war das sicherlich ein großer Skandal.
    Vermutlich wollte Athos sie nur schützen, indem er niemandem, nicht einmal Raoul selbst sagte, wer seine Mutter war. Aber vermutlich könnte Raoul, als die Chevreuse ihn und Athos mehrmals besuchte, auch dahintergekommen sein, wenn er eins und eins zusammengezählt hat.
    Ja, dieses Kapitel muss es wohl sein, und du hast Recht, es war nicht gerade schmeichelhaft für sie...und Aramis, der ja auch in ihrem Alter war, hatte sich deutlich besser gehalten. :whistling:
    Du hast Recht, Dumas hat seine Helden in der Tat durch alle Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz geführt..und wenn man es genau betrachtet, nimmt es für drei von ihnen ein unglückliches Ende, Aramis ist der einzige, der am Ende überlebt, und sogar Bischof ist.
    Was die Geschichte mit Raoul und Athos betrifft, als ich den stark gekürzten VdB las, verstand ich die Zusammenhänge nicht so, die wurden mir erst klar, als ich Athos Lebensgeschichte kannte. Raoul erinnert mich ein wenig an den kleinen Johann bei den Buddenbrooks, in diesem Roman war der Kleine die große Hoffnung seiner von SChicksalsschlägen gebeutelten Familie, und mit diesem Kind starb auch die Hoffnung der Familie auf einen Neuanfang. Mir ist aufgefallen, dass das bei Romanen des 19. Jahrhunderts häufiger ist, dass der einzige Sohn der Familie stirbt, und danach alles auf ein düsteres Ende zugeht, die verbliebenen Familienmitglieder sterben entweder an Kummer oder enden in bitterster Armut. Mit Raouls Tod wollte Dumas wohl zeigen, dass für Athos keine Hoffnung mehr besteht, dass mit dem einzigen Nachkommen auch seine Zukunft starb.
    Das Ende der Musketiere im dritten Roman ist schon sehr tragisch...aber ein Ende, bei dem alle glücklich in den Sonnenuntergang geritten wären, wäre auch langweilig gewesen.
    Aber dass Raoul sterben musste, fand ich dennoch schade, beim Lesen des 2. Romans, des VAA war er noch ein vielversprechender junger Edelmann, der eine große Zukunft vor sich zu haben schien.

  • @Alienor
    Ja, diese düsteren Schicksalsschläge - vielleicht ist das die stärkste, intensivste Form der Freundschaft, wenn sie zutiefst tragische Untergänge überleben kann? Zumindest vermute ich mal, dass Dumas am Ende seiner Trilogie auf eine solche "ewige" Freundschaft, die sogar den Tod überdauert, angespielt haben könnte.

  • Aramis


    Ja, das könnte durchaus sein, dass Dumas damit deutlich machen wollte, dass die Freundschaft der vier sogar den Tod überdauert.
    Darauf deutet ja auch hin, dass Athos diesen Traum hat, in dem Raoul ihm von Porthos Tod erzählt..da brachte Dumas ja eine gewisse übersinnliche Verbindung mit rein.

  • Ja, das könnte durchaus sein, dass Dumas damit deutlich machen wollte, dass die Freundschaft der vier sogar den Tod überdauert.

    Meint ihr, dass die Freundschaft der vier eine solche "ewige" ist? Ich finde d'Artagnans letzte Worte dazu etwas rätselhaft. Er sagt: "Athos, Porthos, au revoir! Aramis, à jamais adieu!".


    Natürlich, Aramis ist der letzte der vier und der einzige, der am Ende der Trilogie noch am Leben ist - insofern wird d'Artagnan ihn erst wiedersehen, wenn auch er gestorben ist. Aber für mich hört sich dieses "à jamais adieu" deutlich endgültiger an... als wäre Aramis damit nicht nur dadurch von seinen Freunden getrennt, dass er noch lebt, sondern auch über den Tod hinaus.

  • @duchessse


    Stimmt, das mit dem ewigen Adieu ist schon sehr rätselhaft...womöglich gab es zwischen Aramis und den anderen doch eine gewisse Distanz. Ich kenne leider die ungekürzte Variante des Romans nicht, mir fehlen zwei Drittel, deswegen ist es für mich schwer, das Verhältnis der Freunde im letzten Roman zu beurteilen.
    Womöglich hat d´Artagnan Aramis ja den Tod von Porthos während dessen Flucht nachgetragen. Womöglich war das Verhältnis zwischen d´Artagnan und Aramis im letzten Roman auch merklich abgekühlt. Die Stelle, an der d´Artagnan das sagt, kannte ich gar nicht, die wurde bei meiner Version leider auch weggekürzt.

  • Die allerletzten Worte Dumas` im VdB lauten:
    Des quatre vaillants hommes dont nous avons conté l`histoire, il ne restait plus qu`un seul corps. Dieu avait repris les ames.
    Daraus geht eindeutig hervor, dass er von vier Männern spricht, nicht nur von drei, deren Seelen Gott wieder zu sich genommen hatte.


    Die letzte Begegnung zwischen D´Artagnan und Aramis, bevor dieser nach Madrid zurückkehrt, lässt keine Ressentiments zwischen den beiden erkennen:
    "Aimons-nous pour quatre", dit `D`Artagnan, "nous ne sommes plus que deux."
    "Et tu ne me verras peut-etre plus, cher D`Artagnan", dit Aramis, "si tu savais comme je t`ai aimé! Je suis vieux, je suis éteint, je suis mort."
    "Mon ami," dit D`Artagnan, "tu vivras plus que moi, la diplomatie t`ordonne de vivre; mais moi, l`honneur me condamne à mort."
    "Bah! Les hommes comme nous, monsieur le maréchal," dit Aramis, "ne meurent que rassasiés de joie et de gloire."
    "Ah!" répliqua D´Artagnan avec un triste sourire, "c`est qu`à présent jene me sens plus d`appétit, monsieur le duc."
    Ils s´embrassèrent encore, et deux heures après ils étaient séparés.

  • Aramis


    Danke für das Posten des Textes. Mir fällt es, weil ich die ungekürzte Ausgabe des Romans nicht kenne, immer schwer, den VdB richtig zu beurteilen.
    Und ich finde es auch schöner so, ich hätte es schade gefunden, wenn Aramis da von Dumas ausgeschlossen worden wäre. Es ist doch gut zu wissen, dass er und d´Artagnan nicht im Streit auseinandergingen.

  • Ja, ich finde auch, dass dieser Schluss nichts Negatives an sich hat - außer die Tatsache, dass sich die beiden Freunde zum letzten Mal umarmen, im irdischen Leben -
    Was dieses "à jamais" bedeuten soll, ist mir daher schleierhaft - oder wollte D´Artagnan etwa gar damit sagen, er hielte Aramis für unfähig zu sterben? (la diplomatie t`ordonne de vivre)

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