Beiträge von Maike

    Es gibt einige sehr schöne französische Romane ungefähr der Zeit, die auch herrliche Mantel-und-Degen-Geschichten enthalten und gegenüber den "Drei Musketieren" den eindeutigen Vorteil haben, besser auszugehen.


    Mein absoluter Favorit (den ich vielleicht sogar ein klitzekleines Bißchen lieber mag als die Bücher von Dumas - ein Sakrileg, hm? ;-)) ist Théophile Gautiers "Le Capitaine Fracasse" (1863, wenn ich mich nicht täusche) - eines der wenigen Bücher, die sowohl eine absolut sympathische Hauptfigur als auch ein glückliches Ende, einen sich bekehrenden Schurken und zwischendurch wunderschöne und auch amüsante Beschreibungen haben.


    Mit den "Musketieren" (zumindest derem ersten Band) hat das Buch die Handlungszeit (die Epoche Ludwigs XIII.) und in gewisser Weise die Ausgangssituation gemein - ein verarmter Adliger aus der Gascogne bricht auf, um in Paris sein Glück zu machen. Der gute Baron de Sigognac (den ich zugegebenermaßen vergöttere *g*) ist nun aber alles andere als ein d'Artagnan, und er wird auch nicht von seiner Familie losgeschickt, sondern bricht in desolater Lage mit einer fahrenden Schauspielertruppe auf, unter anderem, da er sich in eine der zugehörigen Damen verliebt hat...


    Ohne jetzt die Handlung im Detail verraten zu wollen, kann ich sagen, daß es eine Reihe schönster Abenteuer teils amüsanter, teils spannender Art gibt, und mit dem Duc de Vallombreuse einen herrlichen Gegenspieler (der am Ende glücklicherweise *nicht* tot und begraben ist - das wäre schade gewesen).


    Was mir sehr gut gefallen hat, aber Leute, die eher "viel Action" in einer Geschichte erwarten, möglicherweise stören wird, ist das sehr ruhige Erzähltempo, das durch lange Beschreibungen und Dialoge erreicht wird - die Handlung bewegt sich gewissermaßen in der Geschwindigkeit des Karrens der kleinen Theatertruppe, aber, wie gesagt, das ist eigentlich ein Genuß.


    Die erwähnten Beschreibungen sind alles zwischen herrlich ironisch und atmosphärisch dicht, je nach Lage - man glaubt sich wirklich an die Orte versetzt, über die man liest (gerade im Fall von Paris ist der "Wiedererkennungseffekt" hoch, wenn etwa die Annäherung an Notre Dame beschrieben wird), und sieht die Personen sehr plastisch vor sich.


    Leider weiß ich nicht, ob eine deutsche Übersetzung existiert, bzw., ob zur Zeit eine auf dem Markt ist. Wer immer das Buch in irgendeiner Form bekommen kann, sollte es sich jedoch nicht entgehen lassen.

    Ich habe keinen der Filme, die Du beschreibst, gesehen - aber das Buch gelesen (leider bisher nur in dt. Übersetzung), und mit "Robin Hood" hat es nun wahrhaftig nichts zu tun... Die "schwarze Tulpe" ist ganz real eine solche, es geht wirklich um ihre Züchtung und um eine sich daran anschließende Intrige, die sich mit politischen Geschehnissen unerfreulicher Art in den Niederlanden verknüpft.
    Es gab mal eine Zeichentrick-Verfilmung dieses Buches (auch unter dem Titel "Die Schwarze Tulpe"), die sich etwas eher an den Roman hielt - allerdings spielten, soweit ich mich erinnere, zwei nicht von Dumas eingeführte Mäuse mit, die Cornelius van Baerle unterstützten, Rosa war von einem biederen Mädchen zu einer sich ihrer Attraktivität anscheinend durchaus bewußten Zigeunerin (?) mutiert, und der Schuft Boxtel war von einem intrigierenden Konkurrenten mit allerleichtestem Bonacieux-Touch zu einem dämonischen Hexenmeister geworden. Im ganzen dürfte sich der Film eher an ein jüngeres Publikum gerichtet haben, und die ganzen politischen Verwicklungen um die Oranier tauchten auch nur in kleinsten Ansätzen auf. Es ist allerdings schon eine ganze Weile her, daß ich das gesehen habe.
    Ansonsten - das Buch ist gut, wenn auch sehr anders als etwa die "Drei Musketiere", und hat immerhin ein durchaus glückliches Ende (was man von Dumas ja gar nicht so gewohnt ist). Und Liebhaber ausgedehnter Kerkerszenen dürften auf ihre Kosten kommen. :lol:

    Was "Fürsten" betrifft - da gibt es in Frankreich keinen von "Prinzen" getrennten Begriff (ähnlich wie im engl. Sprachraum), es gibt aber durchaus Leute mit so einem "Prince"-Titel... Silvia, der Prince de Condé guckt von meiner Wand her gerade böse, daß Du ihn unterschlagen hast! :lol:


    Man sollte vielleicht noch erwähnen, daß bestimmte Herzogstitel Mitgliedern des Königshauses zufallen - im 16. Jh., über das Sacayawea schreiben möchte, sind doch beispielsweise einige Söhne von Henri II Herzöge, z.B. ist der spätere Henri III Duc d'Anjou (Herzog von Anjou) und sein Bruder Duc d'Alençon. Zur Zeit der Musketiere ist dann der Bruder des Königs, Gaston, Duc d'Orléans.

    Hm, ich glaube, Coconnas sagt nicht "Mordioux!" (das ist, denke ich, die südfranzösisch-gascognische Variante, d'Artagnan verwendet es glaube ich, oder z.B. der Gascogner Cocardasse in "Le Bossu" von Féval), sondern "Mordi!", was aber quasi das Gleiche heißen dürfte; auf Französisch wäre es "Mordieu!" Ganz ausformuliert müßte es, glaube ich (Franzosen und Französischkundige, korrigiert mich!) "par la mort de Dieu!" - "beim Tode Gottes!" - heißen.


    Nun zu den ganzen Sachen auf "-bleu". "Bleu" ersetzt in solchen Formulierungen das Wort "Dieu", Gott, um nicht den Namen Gottes zu mißbrauchen und sich beim Fluchen allzu sehr zu versündigen. "Parbleu!" heißt also eigentlich so viel wie "par Dieu!" - "bei Gott!" Entsprechend dann eben "Morbleu!" oder "Palsambleu!" (für "par le sang de Dieu", sofern ich weiß - also das Gleiche wie "sangdieu").


    Entsprechend gibt es "diantre!" statt "diable!" - "Teufel!"

    Was Oper als Gattung betrifft - die gab es ab 1600 eher in Italien, in Frankreich kam das Ganze eher so ab der Jahrhundertmitte richtig in Schwung, besonders, was Eigenkompositionen betraf, und wie in England ist alles zu Anfang noch sehr mit Ballett, "Masken", etc. verknüpft. Wenn man also nicht den Zeitrahmen von "Vingt Ans Après" wählt, sondern wirklich die Zeit der "Drei Musketiere" möchte, könnte man eine (möglichst italienische) Oper quasi als "Import" aufführen lassen... Und wenngleich es so früh wohl in Frankreich noch keine eigentlichen Opernbühnen gab, gab es doch in den Schlössern, Stadtpalästen, etc. z.T. Theater oder als Theater viel genutzte Räume (etwa im Kardinalspalais) - wenn also eine Bühne für die Geschichte wichtig ist, könnte man darauf zurückgreifen... Oder, wie gesagt, die Geschichte etwas später spielen lassen. ;-)

    Ja, darauf bezog es sich... Die ganzen Giftmordgeschichten bilden im "Fräulein von Scudéri" eine Art Hintergrundfolie, auf der sich diese etwas anders motivierte Mordgeschichte, die die eigentliche Handlung bildet, abspielt.


    Gib die Hoffnung mit Deiner Fortsetzung nicht auf - manchmal dauert es, und man findet dann doch was! :-)

    "Die Brinvillier war ein entartetes Weib" (E.T.A. Hoffmann), hm? Ahja... Da werden doch Erinnerungen an eines meiner anderen Lieblingsbücher wach... *g* Desgrais war zeitweise nahe daran, Tréville den Rang abzulaufen... Na ja, nicht ganz, aber ich hatte etwas für ihn übrig. ;-)

    Kleine Anmerkung zu den Fragen der Mutter-Sohn-Beziehung... Sehr sympathisch finde ich die Nachlässigkeit beider Damen auch nicht, aber das könnte bis zu einem gewissen Grade auch zeitbedingt sein, bzw. eher an der Meinung liegen, die vielleicht das 19. Jh. mit seiner Aufwertung bürgerlicher Familienwerte vom 17. Jh. in dieser Beziehung hatte. Zumindest in der Schicht, der Mme de Chevreuse und Mylady (wenn auch gewissermaßen an verschiedenen Punkten der Bandbreite von "Adel") angehören, war das "Abladen" der Beschäftigung mit den eigenen Kindern auf Ammen, Kinderfrauen, etc. ja nicht unüblich - deshalb ist es von der zumindest möglichen emotionalen und räumlichen Distanz in einer "normalen" Familie der Zeit und sozialen Situation bis hin zu dem wirklichen Im-Stich-Lassen, um das es hier geht, vielleicht ein geringerer Schritt, als es das wäre, wenn man von einer wirklich engen Mutter-Kind-Beziehung, in der die Mutter Hauptbezugsperson für das Kind ist,ausgeht.
    Das soll jetzt nicht heißen, daß es im Adel des 17. Jhs. keine engen Eltern-Kind-Beziehungen gegeben hätte - bei Mme de Sévigné hat man ja z.B. den Eindruck, daß sie zu ihren Kindern ein sehr enges, gutes, vertrauensvolles Verhältnis hatte. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die "akzeptierte" Variationsbreite damals zumindest in bestimmten Schichten vielleicht größer war als heute.
    Zumindest was Mylady angeht (immerhin kann sie ja davon ausgehen, daß ihr Sohn als ehelich gilt, solange ihre erste Ehe nicht aufgedeckt und die Bigamie ruchbar wird), ist ihr Verhalten also zwar nicht unbedingt sympathisch, aber vielleicht aus einem bestimmten "mindset" heraus erklärlich - während Raouls ganze "Entstehungsgeschichte" und das, was weiter bei ihm passiert, eigentlich bei keinem der Beteiligten auf irgend etwas, das zu irgend einer Zeit die Krönung von Moral und Anstand gewesen wäre, schließen läßt... ;-)


    P.S.: kaloubet, wenn ich mal ganz viel Zeit habe, kann ich mir den windelwaschenden d'Artagnan ja mal vornehmen! ;-)

    Zitat

    Die Männer ihrer Zeit waren eben nicht gefasst darauf, dass eine Frau einen derartigen Überblick und Gefühl für heikle Situationen besitzt.


    Hmm.... Das wage ich mal zu bezweifeln. Wie gesagt, zumindest das 17. Jh. kennt das Idealbild der femme forte (und ich gebe zu, Mme Coquenard in "Alès" bewußt als eine gewisse Karikatur dieses Ideals geschrieben zu haben), insofern glaube ich nicht, daß die Männer mit jemandem wie Mylady speziell in dieser Epoche nicht rechnen konnten - und das Bild der Frau, die ihre weiblichen Reize gerissen einsetzt, ist nun wirklich so alt wie die Menschheit (nicht umsonst erwähnt Monsieur de Tréville irgendwo d'Artagnan gegenüber die biblische Dalilah, die Samson, den Prototyp des "starken Mannes", zu Fall bringt). Was wir hier haben, ist also eher ein femme-fatale-Motiv, das ja auch im 19. Jh. nicht unbeliebt war - Mylady greift einfach an der Stelle an, an der Männer ihr nicht viel entgegenzusetzen haben. Interessant finde ich dabei, daß sie auch Frauen gut manipulieren kann (siehe Mme Bonacieux - aber gut, die war kein würdiger Gegner ;-)).

    @Maren: Hast Du meinen "Abstimmungsaufruf" etwa 100%ig ernstgenommen? Du meine Güte.... :lol: Das wollte ich nun ja auch nicht provozieren!
    Nein, aber wenn Ihr gerne nähere Erklärungen zu Myladys Psyche in dieser Geschichte hättet, kann ich sie gerne nachliefern. *g*

    @Maren:

    Zitat

    Nein, finde ich nicht so gut, dass sie am Ende wieder mit Athos zusammen ist. Naja, ich würde zumindest nicht mehr mit dem Kerl zusammenleben können, der seine Taten zwar furchtbar bereut, aber mich verdammt nochmal _töten_ wollte!


    Zugegeben, meine Geschichte ist herrlich unrealistisch. *g* Entschuldigung in aller Form dafür an alle Leser - wir können ja mal abstimmen! Wer ist dafür, daß ich "Neiges d'antan" aus der Fanfiction lösche? ;-)


    (Ich könnte jetzt erklären, *warum* sie in der Geschichte am Ende doch wieder mit Athos zusammen ist, aber dann würdet Ihr vermutlich alle vor mir davonlaufen, insofern...)

    (Das wird jetzt ein wenig qualifizierter Beitrag zwischen Tür und Angel, Entschuldigung im Voraus!)


    Zitat

    Man stelle sich die vier verheiratet und womöglich mit Kindern versehen vor :P - nun, dann wären die weiteren Abenteuer doch sehr in Frage gestellt, wenn nicht unmöglich geworden - oder?


    Ja und nein - es kommt darauf an, wie man es betrachtet. Athos ist ja in den späteren Bänden durchaus mit einem Kind versehen, wenn auch nicht verheiratet, bei Porthos sieht es umgekehrt aus... Insofern steht die Existenz einer Familie weiteren Abenteuern durchaus nicht im Weg, zumindest würde sie es wahrscheinlich in der sozialen Schicht, der die vier Helden angehören, nicht unbedingt tun. Solange die wirtschaftliche Lage durch Grundbesitz, Sold, etc. mehr oder minder gesichert ist und Dienerschaft finanziert werden kann, ist die höchstpersönliche Verantwortung für den täglichen Kleinkram ja ein wenig gemildert - wenn ich auch zugebe, daß ich einer Fanfiction mit einem windelwaschenden d'Artagnan, der irgendwo zwischen überkochendem Eintopf und schreiendem Nachwuchs rotiert ("...und nun, wo ich aufgrund dieser leidigen Duellaffaire meinen Posten verliere, wird auch noch Planchet krank, und man sagt mir, meine Frau müsse das Bett hüten, wenn die unser drittes Kind nicht vor der Zeit verlieren soll... Ventrebleu! Das mir! Das MIR!") durchaus etwas abgewinnen könnte. ;-)


    Aber Du hast in gewisser Weise recht, kaloubet - die Musketiere als Familienväter würden wahrscheinlich anders agieren als jugendlich unbeschwerte Helden, und vor allem wäre eines nicht mehr gegeben - die relative Exklusivität ihrer emotionalen Bindung aneinander (d'Artagnan stirbt immerhin mit den Namen seiner Freunde auf den Lippen, nicht mit dem seiner Ehefrau, seiner Geliebten oder seines Kindes). Wir wissen, daß andere emotionale Bindungen bestehen (in Sachen Frauen v.a. zu Mme de Chevreuse), doch bleiben diese Beziehungen erzähltechnisch immer relativ im Hintergrund. Wenn die Helden allesamt verheiratet wären, Kinder hätten oder in ernsthaftere längerfristige Liebesbeziehungen irgendeiner Art involviert wären, käme man wohl kaum umhin, ihre Psychologie darauf abzustimmen. (Na gut - und zumindest für Aramis wäre eine Heirat ein ernsthaftes Karrierehindernis, ich entschuldige mich daher nochmal in aller Form bei ihm - Aramis, vergebt mir bitte! :-D)


    Was ich in dieser Hinsicht sehr interessant finde, ist nun aber folgendes: Offenbar scheint bei uns als Lesern/Fanfictionautoren bedarf gerade an dem zu bestehen, was Dumas ausspart, eben Liebesbeziehungen, Heiraten, etc. Wenn man mal so unsere Geschichten betrachtet, dann haben wir fast alles dabei - nähere Betrachtungen zu den Liebesbeziehungen/Ehen der Musketiere, von denen wir bei Dumas erfahren (Athos/Mylady, Aramis/Mme de Chevreuse/ Athos, d'Artagnan/Ketty, Porthos/Mme Cocquenard), aber auch Beziehungen, von denen man allenfalls ahnen kann, daß sie wohl existieren müssen (M. de Tréville/ Mme de Tréville), und völlig neue Paare (Athos/Claire, Rochefort/diverse Damen)... Ein paar Kinder existieren in den Fanfictions auch - ein bis dato unbekannter Sohn von Athos bei Bettina, eine Tochter von Athos bei Eugénie, ein Sohn von d'Artagnan bei Maren, ein Adoptivsohn von Porthos, drei Kinder von Tréville und zwei Kinder von Aramis bei mir...


    Das ist doch irgendwie ganz amüsant zu sehen - woran liegt das? Wollen wir den Helden auch gern alle das private Glück gönnen, das ihnen bei Dumas nicht so recht gewährt wird, oder lesen wir alle (durch Robert Merle vorbelastet?) einfach auch gern altfranzösische Familiengeschichten...?

    Zitat

    In meinen Augen ist bei Dumas (ich beziehe mich jetzt hauptsächlich auf die Musketiere, aber bei z.B. Monte Christo trifft es ja auch zu) nur eine Frau wirklich stark und selbständig und das ist Mylady.


    Was die Musketier-Trilogie angeht, hast Du da nicht unrecht, Silvia - aber in "La Reine Margot" haben wir ein paar mehr Frauen, die zumindest eine bedeutendere Rolle spielen, und sehr unselbständig ist mir zumindest Katharina von Medici nie vorgekommen... *g*


    Ich denke, eine interessante Frage ist wirklich die, die Astrids Beitrag aufwirft - nämlich die, inwieweit das 19. Jh. das Frauenbild bei Dumas prägt. Denn eines dürfen wir nicht vergessen - wir sehen das 17. Jh. in den Musketier-Romanen durch Dumas' Brille, und ich bin der Ansicht, daß er seine Vorlagen schon recht stark nach den Idealen seiner Zeit ummodelliert. Sowohl in den "Mémoires de Monsieur d'Artagnan" als auch in den "Mémoires de M.L.C.D.R.", die beide aus dem 17. Jh. stammen, gibt es durchaus einige selbständige Frauen, und nicht alle sind negativ gezeichnet - zwar sind d'Artagnans Ehefrau und Rocheforts Stiefmutter nicht gerade nette Damen, aber mit der Marquise, mit der d'Artagnan ein mehr oder minder platonisches Verhältnis eingeht, und Rocheforts etwas exzentrischer (Halb-)Schwester kommen durchaus recht eigenständige Charaktere ins Spiel, und man sollte nicht vergessen, daß das 17. Jh. immerhin auch die Ideale der mulier docta und der femme forte kannte. Wer sich die Mühe macht, mal einen echten Barockroman zu lesen, wird wahrscheinlich feststellen, daß das weibliche Personal im Schnitt selbständiger und aktiver agiert als in einem typischen Roman des 19. Jhs. (denn das 19. Jh. ist wirklich das Jahrhundert der in-Ohnmacht-fallenden Romanheldinnen) - weder im 17. noch im 18. Jh. ist das in der Literatur derart schlimm, obgleich natürlich auch die damalige Frauenrolle nicht mit der heutigen vergleichbar ist.


    So... Nach diesem langen Vorgeplänkel die eigentliche Frage, die mir durch den Kopf geht und die mir ganz diskussionswürdig vorkommt:


    Wie sieht es eigentlich mit uns aus?


    Will sagen - wie stehen die Damen in unseren Fanfictions da? Sind da gewisse Vorlieben,Trends, etc. erkennbar? Bemühen wir uns, sie so zu schreiben, wie wir uns Frauen des 17. Jhs. vorstellen, orientieren wir uns eher an der Darstellung bei Dumas, projezieren wir eigene Vorstellungen aus der heutigen Zeit?
    Und einige Damen tauchen ja in unseren Fanfictions schon auf - Bettina hat sich mit Mylady und Madame de Chevreuse befaßt, Sarah hat über Athos' Schwester und die Königin geschrieben, bei Silvia gibt es eine Fülle eigener Charaktere, allen voran Claire de Montfaucon, Maren hat sich nicht allein Ketty gewidmet, auch bei Heike, Silke und mir tauchen dann und wann weibliche Charaktere auf... Wie empfindet ihr all diese von Damen geschriebenen Damen? ;-)



    Maike

    Silvia, Du hast recht das die Lester-Verfilmung große Situationskomik erhält - aber es sollte einen schon nachdenklich stimmen, daß das gerade in den Szenen der Fall ist, die *nicht* aus dem Buch stammen (der Fechtkampf auf dem Eis, Rocheforts Beinahe-Hinrichtung und Befreiung in La Rochelle, etc.) oder aus buchbasierten Szenen hinzufügten Elementen resultieren (z.B. die Wäscheleinen beim Kampf Kardinalisten vs. Musketiere gegen Anfang).
    Was mich an der Verfilmung etwas stört, ist, daß vieles sehr überzeichnet ist - das, was bei Dumas feine Ironie ist (die subtile Kritik daran, daß d'Artagnan nicht immer wie ein "wahrer Edelmann" auftritt und handelt; die Ironisierung des letztlich dem Kardinal unterlegenen Königs), ist bei Lester zu platter, plakativer Komik ausgewalzt (d'Artagnans schon erwähntes Landjunkertum, die fast schon kindisch lächerliche Hofgesellschaft).
    Dann die Besetzung - abgesehen von "The Musketeer" hat sich eigentlich kaum ein Musketier-Film solch eine Menge an groben Schnitzern erlaubt. Michael York als blondgelockter d'Artagnan ist ein Witz, Oliver Reed als Athos verengt die Figur zu sehr auf einen bestimmten Aspekt, wer auch immer als Tréville gecastet war hat offensichtlich seinen Großvater als Urlaubsvertretung vorbeigeschickt und Faye Dunaway als Mylady war die schlimmste Fehlbesetzung des Jahrhunderts (ich weiß, daß ich mit dieser Meinung ziemlich allein dastehe, aber die Frau ist erstens häßlich, zweitens bringt sie nicht viel von Myladys Charakter rüber - wenn man das mal mit der Glanzleistung vergleicht, die Lana Turner in der Gene-Kelly-Verfilmung liefert, sieht die Lester-Mylady wirklich ziemlich ärmlich aus. Ein nettes Kostüm ist wahrhaftig nicht alles!).
    Selbst bei den gut besetzten Charakteren (Christopher Lee als Rochefort ist wirklich gut - in dem Rahmen, der ihm vom Drehbuch vorgegeben wird, leider!) sind ziemliche Schnitzer in der Charakterzeichnung, und bei der Ausstattung sind große Schwankungen da - manche Dinge (Myladys ausladende Witwenhaube z.B.) sind wirklich zeitnah, überzeugend und liebevoll gemacht, andere Details dagegen (Teile der Kulissen) sind nicht besonders gelungen und sehen nicht aus, als ob man sich große Mühe gegeben hätte...
    Es ist ein unterhaltsamer Film, ja - aber mit Einschränkungen.

    Hallo Silke,


    tut mir leid, daß wir direkt auf Französisch zitiert und nicht weiter darüber nachgedacht haben, aber die frz. Ausgabe ist zumindest bei mir die einzige, die ich mit einem Griff aus vom Computerstuhl aus erreichen kann... ;-) (Und irgendwie kriegt man ja auch an der Uni eingebleut, am Besten immer aus dem Original zu zitieren).
    Wart mal, was habe ich denn zitiert...? *nachguck*
    Also: "Elle est en prison?" heißt "Sie ist im Gefängnis?", "assassins" sind "Mörder". Beide Zitate aus dem Gespräch Richelieus mit d'Artagnan am Ende der "Drei Musketiere". ;-)


    Maike

    Mach ruhig ein neues Thema auf, wenn Dir etwas gutes einfällt! :-)


    P.S.: Aber ein "thread" wäre mir aus naheliegenden Gründen lieber als ein "threat" - nur keine Drohungen! ;-)

    Zitat

    aber setzt du nicht Louise mit Raouls Ideal gleich? Ist Raouls Ideal nicht über der von ihm geliebten Frau, das heisst sucht er nicht nach der reinen Liebe,die es so auf Erden eigentlich nicht geben kann? Und wäre Louise somit nicht austauschbar, denn im Prinzip müsste er bei jeder Frau erkennen, dass es einen "Fehler im System" gibt


    Du hast völlig recht - ich habe in meiner Antwort jetzt nur von Louise gesprochen, weil sie eben diejenige Frau ist, mit der er sein Ideal verwirklichen zu können glaubt. Natürlich könnte mit einer anderen Frau vergleichbares geschehen, und er würde bestimmt auch dann vergleichbar reagieren. Ich wollte meine Argumentation nicht an der Person Louise festmachen, nur darauf hinweisen, daß Raoul eben in einer bestimmten Situation, die in gewisser Hinsicht der, in die sein Vater früher gerät, vergleichbar ist, ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt.


    Zitat

    Übrigens habe ich ein bisschen das Gefühl, dass du über meine pseudowissenschaftlichen Gedanken wohl da und dort lächeln wirst, mir scheint nämlich, du habest sehr gut fundierte Kenntnisse in mittelalterlicher Literatur


    Ich lächele hier ganz und gar nicht - ich bin von Deinen Überlegungen und Deinen Kenntnissen sehr beeindruckt und habe die kleine Diskussion sehr genossen.
    Was die mittelalterliche Literatur angeht... "Berufskrankheit" bei mir, würde ich sage (ich schreibe gerade an meiner Doktorarbeit in Älterer Deutscher Literatur), da mach Dir also keine Gedanken... Ist nicht viel dran. ;-)


    Viele Grüße


    Maike

    Zitat

    Die Idee der Degeneration und der falschen Ideale finde ich interessant (ich abstrahiere jetzt mal von den Parallelen zu "fin de siècle" und bleibe beim Buch)


    Ich bin jetzt auch nur vom Buch als in sich geschlossener Welt ausgegangen, nicht davon, daß wir hier ein fiktives 17. Jahrhundert aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts und in letzter Konsequenz auch gebrochen durch unsere Kenntnis, bzw. Einschätzung der Entstehungszeit und der Handlungszeit des Romans sehen (interessant finde ich dazu Umberto Ecos Einschätzung in der „Nachschrift zum Namen der Rose“, in der er davon ausgeht, daß zumindest „Die drei Musketiere“ in gewisser Weise eher „zeitlos“ ist, bzw. eine Epoche nur als Kulisse nutzt). Darum, ob die Aussagen, die Dumas trifft, historisch haltbar sind, geht es mir zunächst einmal nicht, und letztlich auch (noch) nicht darum, wie seine eigene Zeit in die Romane einfließt.


    Wenn man zunächst einmal die Musketier-Triologie als „geschlossene Welt“ betrachtet, erscheint es mir so, als ob ein Zeiten- und Wertewandel von der Epoche Louis’ XIII und Richelieus bis hin zum Absolutismus unter Louis XIV dargestellt wird – interessant finde ich in dieser Hinsicht besonders die Vorausverweise im ersten Band (etwa im zweiten Kapitel, wenn anläßlich der Vorstellung Monsieur de Trévilles ein Bogen Henri IV bis zu Louis XIV gespannt wird), aber auch die Neubewertung Richelieus, die nach seinem Tode von den Charakteren wahrgenommen wird (wobei es sicher auch interessant wäre, die jeweilige „Einbindung“ d’Artagnans in das Herrschaftssystem durch Richelieu und Ludwig miteinander zu vergleichen).
    Generell habe ich – aber das mag eine subjektive Einschätzung sein – aus dem Gesagten herausgelesen, daß der stattfindende Wandel letztlich als derjenige von einem eher feudalen System mit einem starken, herrschaftsgewohnt auftretenden Adel und einem König als primus inter pares hin zum Absolutismus ist und das damit auch ein Wertewandel einhergeht, was sich an Athos und Raoul ganz gut ablesen läßt.



    Zitat

    Ich hoffe, ich habe Athos nicht zu sehr demontiert ...


    Ganz und gar nicht - Du hast sehr recht damit, daß er nicht ein hundertprozentig positiver Charakter im Sinne eines vorbildlichen, strahlenden Helden, dem nie etwas mißlingt (ihm mißlingt zugegebenermaßen sogar ziemlich viel), ist. Genauso recht hast Du damit, daß er sich gegenüber Raoul seinerseits auch nicht sehr anständig und rücksichtsvoll verhalten hat, zumindest jedenfalls nicht so aufrichtig, wie es wünschenswert gewesen wäre.
    Ich muß versuchen, mich etwas klarer auszudrücken, um zu zeigen, warum ich die beiden kontrastiert und für Raoul den etwas problematischen Begriff "degeneriert" verwendet habe.


    Zitat

    was ist degenerierter - eine Frau aufzuhängen, ohne ihr auch nur die Zeit zu einer Erklärung zu lassen und sich dann aus Gewissensbissen und wegen verletzter Ehre schier zu Tode zu saufen? oder sich einzugestehen, dass die Liebe nur eine Chimäre war und nicht erfüllt werden kann und als Konsequenz sich selbst umzubringen?


    Das hängt ganz davon ab, worin das Ideal (ich benutze diesen Begriff hier wertfrei) besteht, das degeneriert.


    Du hast ohne Zweifel recht, daß es moralisch (zumindest aus unserer Perspektive) weitaus vertretbarer ist, Selbstmord zu begehen, als selbstherrlich (zu versuchen) jemanden zu ermorden, ohne der betreffenden Person eine Rechtfertigungsmöglichkeit zu geben, aber – die Sache scheint mir einen gewissen Sinn zu machen.


    Die Geschichte mit dem Aufhängen der Frau finde ich insofern interessant, als daß diese Konsequenz der Entdeckung des Brandmals eine Zutat von Dumas ist - die übrige Geschichte stammt aus den „Mémoires de M.L.C.D.R.“ und endet, wenn ich mich recht entsinne, mit einer Auflösung der Ehe und langwierigen Rechtsstreitigkeiten, aber nicht mit einem Mord.


    Athos' Art, die Sache zu lösen, ist in jedem Fall moralisch fragwürdig, und ich möchte sie hier weiß Gott nicht verteidigen - aber sie kommt mir eher wie eine bewußt "alte", etwa nach mittelalterlichen oder ähnlichen Geschichten modellierte Lösungsmöglichkeit, die einen (in sich selbst fragwürdigen) Ehrbegriff bis in eine grausige Konsequenz treibt, vor. Was vorgestellt wird, ist ein hoher Anspruch, ein klares Ideal, das bei Nichterfüllung zu drastischen Konsequenzen, die selbstherrlich verhängt werden, „berechtigt“, bzw. aus der Perspektiver der dieses Ideal vertretenden Schicht zu berechtigen scheint. In gewisser Weise fühle ich mich an die Jeschute-Episode im „Parzival“ Wolframs von Eschenbach erinnert, wo ein (vermutetes) Abweichen vom Ideal (hier: Untreue der Ehefrau) zu einer strengen Bestrafung (wenn auch nicht zur Ermordung) führt; ähnliches läßt sich in vielen mittelalterlichen Geschichten beobachten, und ich könnte mir vorstellen, daß Dumas es hier bewußt als ein Kennzeichen der alten Adelsschicht verwendet, die selbst gegenüber dem König mit einem gewissen Anspruch auftreten kann und aufzutreten wagt (Du verweist ganz richtig auf Athos’ Verhalten in den späteren Bänden). Ob ihre Ideale gute Ideale sind, mag dahingestellt bleiben – aber sie kommen relativ konsequent zum Ausdruck, besonders, so paradox das klingen mag, in dem „Gericht“ über Mylady gegen Ende des ersten Buchs, das sehr viel von Fehmegericht und einer sich auf altes Gewohnheitsrecht und Adelsanspruch berufenden Selbstherrlichkeit hat, und deutlich zeigt, daß die vier Musketiere und der Kardinal hier in zwei Welten handeln und denken. Die Frage des Kardinals auf d’Artagnans Worte über Mylady (Elle est en prison?) und seine Bewertung derjenigen, die Selbstjustiz üben, als assassins, zeigen, wie sehr er, als Vordenker des Absolutismus, in staatlichen Strukturen und in geregelter Gerichtsbarkeit denkt, während die andere Seite (unter Anführung von Athos) sich berechtigt glaubt, sich selbst als höchste Instanz zu setzen, und dabei relativ schamlos einen Fehler der Regierenden (die von Richelieu zu schwammig ausgestellte Vollmacht, die natürlich zugleich wunderbar in einen Roman des 19. Jhs. als Handlungselement paßt) ausnutzt – man nimmt sich sein Recht und glaubt sich dazu auch berechtigt, trifft auch selbst seine Entscheidung, wen man als würdig befindet, ihm zu dienen (und die Tatsache, daß Richelieu d’Artagnan bei seiner Schwäche – der Hoffnung auf Aufstieg in der militärischen Hierarchie – packt und ihn so in das System einbinden, „neutralisieren“, kann, ist gewissermaßen der Anfang vom Ende dieser Haltung). Es ist alles ein bißchen ironisiert (weder Mme Bonacieux noch die Königin machen eigentlich eine gute Figur als „Minneherrin“), alles ein bißchen verquer und nicht hundertprozentig so, aber im Großen und Ganzen erscheint es doch als die letzte Stufe einer alten Zeit und Ethik, die ihre Wurzeln im Mittelalter hat... Der Don-Quixote-Vergleich am Anfang ist eigentlich gar nicht mal so unangebracht.


    Nun wird der Gegensatz vielleicht auch klarer, den Du im Grunde schon selbst formulierst:


    Zitat

    eine Frau aufzuhängen, ohne ihr auch nur die Zeit zu einer Erklärung zu lassen und sich dann aus Gewissensbissen und wegen verletzter Ehre schier zu Tode zu saufen? oder sich einzugestehen, dass die Liebe nur eine Chimäre war und nicht erfüllt werden kann und als Konsequenz sich selbst umzubringen?


    Athos’ Fall ist grausig, erschreckend – aber in seinem archaischen Ehrverständnis auch erschreckend konsequent und in dieser scheußlichen Weise irgendwie beeindruckend (nicht im positiven Sinn von „lobenswert eindrucksvoll“, sondern abermals wertneutral gemeint); anders als bei den „Präzedenzfällen“ der mittelalterlichen Literatur haben wir hier nur gleichzeitig Andeutungen, was die persönliche Ebene betrifft (Gewissensbisse, gekränkte Ehre/Eitelkeit), so daß implizit schon eine gewisse Hinterfragung des Systems stattfindet. Das Trinken mag ein „Selbstmord auf Raten“ sein, ein persönliches Scheitern – aber das Ideal an sich wird nicht angekratzt, es ist für die Charaktere eine klare Wertvorstellung im Hintergrund (so falsch sie vielleicht sein mag).


    Dagegen scheint mir das Ganze bei Raoul eher darauf hinauszulaufen, daß die an sich wertneutrale Tugend der Konsequenz für einen Selbstmord eingesetzt wird, der letztlich aus dem Zusammenbruch eines Weltbilds resultiert (kann aber auch sein, daß ich da etwas hineininterpretiere und falsch gelesen habe) – Louise und Raouls Ideal scheinen mir gekoppelt zu sein, sobald klar wird, daß Louise nicht ist, was sie zu sein schien, geht auch das Ideal über Bord.


    Das scheint mir ein Gegensatz zu Athos zu sein, bei dem die konkrete Person – Mylady – und seine Ideale durchaus getrennt bestehen.


    Zugespitzt gesagt – Athos beantwortet die Erkenntnis, daß sein Ideal durch seine Frau verletzt ist, mit einem (sehr destruktiven und nicht nachahmenswerten) Schritt gegen ebenjene Frau (woraus dann natürlich Gewissensbisse, etc. resultieren), verliert aber nicht seine Ideale an sich; für Raoul bricht hingegen seine gesamte Welt zusammen, als die Beziehung zu Louise scheitert, und er beantwortet das mit einem (ebenfalls sehr destruktiven und nicht nachahmenswerten) Schritt gegen sich selbst, ist also nicht in der Lage, letztlich die Konsequenzen seines Handels, seiner Fehleinschätzung und die Erkenntnis einer nicht perfekten Welt zu ertragen. Das meinte ich mit „Degeneration“ – aber, wie gesagt, das ist eine subjektive Deutung! :-)