Charakterdiskussion

  • Da keiner sich erraffen wollte, hab ich mal den neuen Thread aufgemacht, wo die alte Debatte aus "Lieblingscharakte" weitergeführt werden kann.


    Und um gleich mal eine provozierende These hinzuwerfen: Ich habe irgendwo vorher schon mal geschrieben dass einer der interessantesten Charaktere die durch Dumas Werk geistern Kardinal de Richelieu ist. Und eigentlich finde ich die Art wie Dumas ihn zu einem eindimensionalen Schurken reduziert etwas merkwürdig. Ich habe zwar erst angefangen mich in das Thema einzulesen, aber er ist eine sehr faszinierende Persönlichkeit, trotz aller Widersprüche und Eigenwilligkeiten.


    Teclador


    Komm vor der Dämmerung zurück

  • Zitat

    Original von Teclador
    Und eigentlich finde ich die Art wie Dumas ihn zu einem eindimensionalen Schurken reduziert etwas merkwürdig.


    Tut er das denn? Mir scheint eher, daß Richelieu (nebst Rochefort) eher in die Kategorie des Antagonisten der Helden, aber nicht Schurken fällt. Bezeichnend sind die Äußerungen über ihn in "Vingt ans après" - posthume Anerkennung von Seiten der Musketiere, könnte man fast sagen... Wo wird er also "eindimensional"? Das ist er eher bei Alfred de Vigny, in "Cinq-Mars", finde ich.

  • Hallo Maike


    Also, ich muss jetzt ohne bücher arbeiten. Aber es gibt so einige Passagen die ich da vor Augen habe. Das fängt an bei der Diamantspangenaffaire und allem was da zuvor geschieht. Zweitens bei der Darstellung der Gründefür den la Rocheller Feldzug und dann nimm mal die Art wie Dumas seine Hauptcharaktere über Richelieu reden lässt.
    In Vingt ans apres ist es anders, aber in Drei Musketiere kann davon nicht rede sein. Und Rochefort ist sehr eindimensional als der "große Unbekannte" geschildert, wirkliche Charaktertiefe bekommt er nicht. Er ist eine Art besonderer nemesis.


    Teclador


    Komm vor der Dämmerung zurück

  • Zitat

    Original von Teclador
    und dann nimm mal die Art wie Dumas seine Hauptcharaktere über Richelieu reden lässt.


    Das zählt nicht wirklich - Figurenrede ist etwas anderes als Meinung und sogar Charakterisierungsabsicht des Autors (Tolkien hat das irgendwann einmal sehr hübsch formuliert, ich habe die Briefstelle leider nicht vor Augen). Was die Musketiere über den Kardinal sagen, gibt ihre Meinung über ihn wieder - nicht mehr.


    Und, wie gesagt - wie ein vollständiger Schurke kommt mir der Kardinal eigentlich nicht vor, eher wie ein gerissener, recht skrupelloser Machtpolitiker, der zwar nicht unbedingt als Sympathieträger konzipiert ist, aber auch nicht als absoluter Schuft. Die Rolle hat in gewisser Weise Mylady inne, weder Richelieu noch Rochefort können ihr so ganz das Wasser in Sachen Bosheit reichen, und wenngleich der Kardinal sich ihrer bedient, scheint sie ihm selbst gelegentlich unheimlich zu sein (zumindest fällt eine derartige Andeutung des Erzählers im abschließenden Gespräch mit d'Artagnan).


    Zitat

    Und Rochefort ist sehr eindimensional als der "große Unbekannte" geschildert, wirkliche Charaktertiefe bekommt er nicht. Er ist eine Art besonderer nemesis.


    Ja und nein - aus d'Artagnans Sicht vielleicht, aber wir bekommen schon zu Anfang eine ganz nette Eingangsbeschreibung des "Mannes von Meung", und später lohnt es sich, auf Kleinigkeiten zu achten - denn er taucht ja nicht allein dann auf, wenn d'Artagnan ihn einmal wieder von weitem erspäht, sondern auch z.B. im Gespräch mit Mylady (aus dem wir vielleicht den vorsichtigen Schluß ziehen können, daß er gelegentlich ein bißchen bequem ist *g*). Und wenn Rochefort aus d'Artagnans Sicht eben eine besondere Art von Nemesis ist, so wird diese Sicht ja am Ende des Buches relativiert, bzw. aufgehoben.
    Die Reduzierung in die völlige Eindimensionalität erfährt Rochefort eher in manchen Verfilmungen.

  • Rochefort, ein eindimensionaler Charakter? Nun, im ersten Band ist er tatsächlich treuer Helfershelfer seiner Eminenz, aber selbst d'Artagnan verweigert ihm ja am Ende nicht seine Anerkennung. Und durch die nachträgliche Rehabilitierung ebendieser Eminenz in den Augen der Protagonisten erscheint er nicht als der Erzschurke, den mancher Film aus ihm macht. Rehabilitierung, die so weit geht, dass Athos ihm folgt, anstelle seinem ehemaligen (an dieser Stelle kann man, denke ich, 'ehemalig' verwenden) Freund. D'Artagnan selbst fragt sich ja, als er ihn aus der Bastille holt und Mazarin vorstellt, ob er nicht besser geworden sei, als er selbst ... eine Frage, die, siehe die Diskussion in dem anderen Thread, gar nicht so sehr zu Unrecht gestellt wird.

    Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe (W. Churchill)

  • Ich denke, zu der Frage, ob Rochefort eindimensional ist oder nicht, sollten wir ihn selbst antworten lassen: "Zum Henker! Ich meine es besser mit Euch, als Ihr vielleicht glaubt, denn bei unserem ersten Zusammentreffen hätte ich dem Kardinal nur ein Wort zu sagen brauchen, und man hätte Euch den Hals abgeschnitten."


    Das möchte ich nur mal so unkommentiert einwerfen. ;-)

  • Zitat

    Rochefort , the "man of Meung" remains a shadowy figure, whose main attribute appears to be the ability to elude d'Artagnan with a frequency that denies belief. His final semi reconciliation with the hero - a feature of the distinctivly odd conclusion of the novel, of which more anon - is diminished in impact by a role significantly more marginal than we are led to expect.


    Leider hab ich den Aufsatz nicht vollständig zur Hand...


    teclador

  • oh je, ich hab's versucht ... was heisst 'elude'? Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dem Text nicht zustimme, aber ich versteh' ihn nicht genug, um das wirklich feststellen zu können ... könntest du ihn bitte übersetzen? Es würde mich nämlich interessieren ...

    Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe (W. Churchill)

  • Zitat

    Original von Anonymous


    "Rochefort, der 'Mann aus Meung', bleibt eine schattenhafte Gestalt, deren hauptsächliches Kennzeichen die Fähigkeit zu sein scheint, d'Artagnan mit einer kaum zu glaubenden Häufigkeit zu entgehen. Seine abschließende Halb-Versöhnung mit dem Helden - ein Bestandteil des bemerkenswert seltsamen Endes des Romans, darüber gleich mehr - verliert dadurch an Wirkung, daß seine Rolle weitaus unbedeutender ist, als wir erwarten gemacht werden."


    Doro, ich hoffe das ist als provisorische Übersetzung halbwegs akzeptabel? Ich habe jetzt nur schnell aus dem Kopf geschrieben, kann sein, daß ich die Feinheiten eingestampft habe. ;-)

  • Hallo Maike,


    ich wollte auch grad die uebersetzung liefern, aber das hast du bereits unnoetig gemacht.
    Der Aufsatz ist von einem Dr.Harrison, zitierend einen Prof. Wren, wenn ich meine hastig auf den Rand der Kopien gekritzelten Notizen noch richtig lese. Ich werd mal sehen dass ich den Aufsatz noch mal komplett auftreibe.


    Teclador


    Komm vor der Daemmerung zurueck

  • Ich verstehe in dem Aufsatz das Wort "Halb-Versöhnung" nicht richtig. Ist das darauf bezogen, dass sie sich erst versöhnen, nachdem sie sich duelliert haben oder ist gemeint, dass sie sich nie richtig versöhnen? Letzteres halte ich für falsch und ich sehe ebenfalls nicht negatives darin, sich erst zu kloppen und dann zu vertragen. Das ist auch heute nichts anderes, nur dass man nicht mit der Waffe aufeinander losgeht...


    Nochmal zu dem, was ich zitiert hatte (tut mir leid, dass es da nur so rumstand, ich hatte nur nicht mehr genug Zeit, mehr dazu zu schreiben und hatte gehofft, irgendwer sonst greift es auf): Ich denke, dieser Satz zeigt, dass Rochefort nicht eindimensional ist. Denn wäre er es, würde er sich keien Gedanken darüber machen können, was er hätte tun können. Eindimensionale Charaktere handeln meiner Meinung nach einfach und reflektieren nicht. Vor allem scheint Rochefort in diesem Satz sogar eine eigene Meinung zu haben. Er hätte nur etwas zu sagen brauchen, aber er hat es nicht getan, WEIL... (hier bitte die entsprechenden Überlegungen und Meinungen einfügen)


    Jetzt einmal zu dem anderen Teil des Aufsatzes über Erwartungen und Kennzeichen. Da stimme ich dem Autor sogar zu. Am Anfang in Meung meint man doch, Rochefort würde ab jetzt in praktisch jedem Kapitel auftauchen, um den Helden da Leben schwer zu machen, in Wirklichkeit trägt er aber immer nur Botschaften von A nach B. Ansonsten besteht seine Aufgabe darin, im passenden Moment aufzutauchen, um die Handlung weiterzutreiben. Die Geschichte mit dem verlorenen Zettel (Aufenthaltsort von Mylady) kam mir da auch immer etwas spanisch vor. Entweder, dieser Zettel wird mit voller Absicht verloren (weil der Kardinal Mylady gerne loswerden würde, die Drecksarbeit aber lieber den Musketieren überlässt) oder Rochefort ist da wirklich ein ausgemachter Trottel, vielmehr, Dumas ist ein Trottel, weil er die Handlung nicht anders zu retten weiß. Solche total unzufälligen Zufälle gibt es ja öfters mal im Roman und ich glaube, das liegt wiederum daran, dass Dumas das als Zeitungsgeschichte geschrieben hat, das heißt, Kapitel für Kapitel, ohne das erste nochmal überarbeiten zu können, wenn das letzte endlich fertig war. Vielleicht irre ich mich da auch, ich weiß nicht sicher, wie Dumas gearbeitet hat. Außerdem schweife ich vom Thema ab, halte diese Frage aber auch für eine Untersuchung wert. Dadurch könnte es nämlich so gekommen sein, dass ein Charakter wie Rochefort erst groß eingeführt wird und am Ende etwas zu enttäuchen scheint, aber nochmal durch einen letzten Satz gerettet wird.


    Viele Grüße,
    Maren

  • Hallo Maren,


    Der Aufsatz bezieht sich nur auf "the three Musketeers" und da ist es nur ein Halb Versoehnung, erzwungen durch den Kardinal.
    Rochefort bleibt darin eindimensional, dass er kaum eigene Motivationen, Beweggruende und Gedanken hat. Er erscheint als der grosse unbekannte, als der Handlanger des kardinals, (und dort ist er kaum zu mehr gut als dass sein herr den fehlgegangen Plan wieder gradebuersten muss), oder als halb bedrohliche unklare Erscheinung im Zusammenhang mit Mylady.
    er verfuegt nicht ueber wirkliche eigenschaften, bis eben auf die Faehigkeit immer schnell genug weg zu sein, dass unser held weiter raetseln darf wer sein nemesis ist.
    Klar ist das alles Dumas Fehler, er haette das anders machen koennen, aber man bedenke in welchem Medium und fuer welches publikum Dumas schrieb, das erklaert manches.


    Teclador


    Komm vor der Daemmerung zurueck


    Ps. Vielleicht sollten wir ja auch dankbar sein, solche unausgebauten Charaktere bieten viel raum fuer FF Autoren.

  • Hallo!


    Ich habe mal wieder nicht alles gelesen und wiederhole jetzt wahrscheinlich nur, was schon laaange vorher gesagt wurde, aber ich muss trotzdem mal was sagen. ;)


    Ad "Rochefort" - bzw @Teclador zu Rochefort resp. Dumas:
    In "Die drei Musketiere" sind die Helden nun mal die Musketiere und Dumas beschäftigt sich da eher mit den Herrn und ihren Gedanken und weniger mit Rochefort. Irgendwie glaube ich, Rochefort ist auch nur ein Nebencharakter wie zB Bonacieux.

  • Hallo Selene,


    das ist nicht der Punkt: ich habe gesagt dass Rochefort ein recht eindimensionaler Charakter ist (auch aus von dir genannten Gruenden) und habe damit einen entruestungssturm ausgeloest...


    tec

  • Hallo.


    Ich habe auf einen Puntk geantwortet, den du angesprochen hast.


    Ansonsten ... ups, peinlich für eine Jusstudentin. ;)


    Zur Eindimensionalität hast du allerdings irgendwie recht. ;) Er ist zwar der große Unbekannte über den man eben deshalb nicht soo viel erfahren soll/kann/darf, aber von der Beschreibung her ist er nur böse. ... obwohl das fast niemand so recht glauben kann..

  • Hallo ihr,


    Zitat

    Der Aufsatz bezieht sich nur auf "the three Musketeers" und da ist es nur ein Halb Versoehnung, erzwungen durch den Kardinal.


    Hhm, da scheint mir das Zitat, das Maren geliefert hat, aber dagegen zu sprechen. Und gleich darauf heißt es, dass Rochefort und d'Artagnan sich "aufrichtig" und "ohne Hintergedanken" umarmen - also das hört sich nicht gerade so an, als versuche ihnen da jemanden Zwang anzutun. Rochefort als "eindemesional böse" zusehen, finde ich etwas zu stark. Zynisch, ja! Enigmatisch, ja! Und die Stelle in dem Aufsatz, wo von der Randfigur die Rede ist, würde ich auch noch unterschreiben. Aber böse?
    Bei seinem ersten Auftritt gibt sich Rochefort spöttisch und durch seine Ruhe, meiner Meinung nach, d'Artagnan bei weitem überlegen. Bei seiner (äußerlichen) Beschreibung tauchen dann Wörter wie "edel", "hochgewachsen" etc. auf, die ihn doch eindeutig als honnête ausweisen. "Eindimensional böse" verbinde ich mit Attributen wie "fies", "willkürlich", "roh", "kompromisslos selbstsüchtig" oder auch "unbelehrbar", die sich auf Rochefort irgendwie nicht recht anwenden lassen.

    And his eyes have all the seeming of a demon's that is dreaming,
    And the lamplight o'er him streaming throws his shadow on the floor... (E. A. Poe)

  • Hallo Sarah,


    es geht auch nicht vordergruendig um "Boese". sondern eher darum, dass Rochefort etwas eindimensional geschildert ist. Die Versoehung am Ende ist nur eine Halbe die abgemildert wird durch die Aussage, dass nach drei Duellen dann schliesslich doch Freundschaft herrscht. (die ja spaeter win wirklich fatales Ende findet!)
    Ich sehe Rochefort nicht als boese, ich finde es eher schade, dass sein charakter so wenig ausgebaut ist.


    teclador

  • Hallo Teclador,


    Ich hätte vielleicht deutlicher machen sollen, dass ich mich in dem Böse-oder-nicht-böse-Teil meines Posts v.a. auf Selenes Beitrag bezogen habe:


    Zitat

    Er ist zwar der große Unbekannte über den man eben deshalb nicht soo viel erfahren soll/kann/darf, aber von der Beschreibung her ist er nur böse. ... obwohl das fast niemand so recht glauben kann..


    Xin chao
    Sarah

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