Henri Diamant-Berger, restaurierte Fassung - endlich!!!

  • Na wunderbar! Kinners, ich bin vielleicht ein Held!!

    Da weiß ich seit Jahren, dass Anfang des 20. Jahrhunderts die erste Musketierverfilmung gedreht wurden und was mache ich? Nix!

    Kann man ja nicht kaufen, da vom Schulfranzösisch fast gar nichts hängen geblieben ist und der 1921er Film ja ein französischer Film ist!

    ......MÖÖÖÖÖPPPPP!!!!.........

    Bis Percy dann mal die zündende Idee hatte, den Film doch noch aufzustöbern, denn den kann man ja auch gucken ohne Französischkenntnisse, da Stummfilm!!!

    Boah, da stand ich aber auf der Leitung!

    Immerhin habe ich diese Lücke jetzt gefüllt und eine über 100 Jahre alte Schwarz-Weiß-Serie "gebinge-watched", wie man so schön sagt. Habe mich wahrlich prächtig amüsiert!!!

    Das ist ja wunderbar nah am Original, obwohl manche Szenen etwas "abgemildert" wurden, um unseren Helden eine etwas weißere Weste zu geben: Athos erhängt Milady nicht, Ketty kommt nicht vor, daher auch ihre Instrumentalisierung durch d'Artagnan nicht, außerdem geht der Gascogner nur mit Milady ins Bett, weil er einen gefälschten Brief von Constance erhielt, dass sie ihn angeblich nicht liebt (von Richelieu gefälscht, glaube ich), Porthos' Prokuristengattin taucht nicht auf.

    Ganz erfrischend sind die Szenen mit den vier Dienern, die allesamt sehr drollige Zeitgenossen sind und wenn Richelieu mit den Kätzchen spielt, schmilzt das Zuschauerherz!

    Geradezu unwirklich schön sind unsere Helden, besonders d'Artagnan (dieses Profil! Endlich die passende Nase!), Aramis (wie ein niedliches Engelchen) und Athos (endlich Athos! Nur Athos!!! Edel und passend!). Die Frauen sind dafür irgendwie gruselig. Am ehesten geht noch Constance, aber die ewig depressive Königin mit ihrem Mörderlidschatten hätte Buckingham eher in die Flucht geschlagen, ebenso die etwas grobschlächtig wirkende Milady. Dafür fand ich sie in keinster Weise sympathisch, so war es nicht schlimm, als sie das Zeitliche segnete. Da fand ich das blonde Gift aus der Verfilmung mit Gene Kelly wesentlich überzeugender!

    Einige Szenen die dazu kamen, gefielen mir gut, vor allem die Szene, wo d'Artagnan und Aramis Buckingham helfen, unerkannt aus Paris zu entkommen. Hier zeigen die beiden gutes, freundschaftliches Teamwork.

    Tréville finde ich auch sehr gut getroffen, insbesondere, wie er d'Artagnan mustert und sich offenbar nicht sicher ist, ob er den Jungspund zum Frühstück vertilgen soll oder ihn besser unter seine Fittiche nehmen sollte. All dies, während d'Artagnan verlegen mit einem Knopf an seinem Wams fummelt, der am letzten Faden hängt. Herrlich!

    Die Flucht in Frauenkleidern mit Häubchen durch Paris zu Athos war auch denkwürdig, was hab ich gelacht!

    Und wie Buckingham ganz gerührt ist von d'Artagnans und Planchets Einsatz, die Ehre der Königin zu retten und die beiden, die vor Erschöpfung auf ihren Stühlen eingeschlafen sind, ganz vorsichtig raustragen lässt samt Stuhl. Hier ergötzt sich die Kameraführung - und der Zuschauer - regelrecht am schönem Gesicht des schlafenden d'Artagnan.

    Tja und die letzte Szene mit Umarmungen und Küsschen unter den vier Freunden ist ja sowieso rührend. Wobei es im Buch noch ergreifender ist.

    Die Restauration mit Untertiteln und etwas Erzählstimme sowie eingeblendeten Geräuschen und passender Musik gefällt mir gut. Insbesondere, da es keine nervige "Stummfilmmusik" ist und die Bewegungen von Menschen und Tieren auch halbwegs in Echtzeit ablaufen und nicht wie bei manchen Stummfilmen in höherem Tempo.

    Die meisten Geräusche passen auch sehr gut, nur der hyperaktive Kuckuck an der Waldhütte in Armentières war etwas zu viel des Guten. Tja, und dass d'Artagnan ein Sangestalent ist und im Feldlager den Kameraden am Lagerfeuer etwas vorsingt, war auch etwas "strange"....insbesondere der Heldentenor. Gut, der Darsteller war wohl Sänger, da gönnt man ihm die Einlage (wenn es seine Stimme war), aber persönlich denke ich, dass d'Artagnan wohl eher ein paar lustige Liedchen im Gasthaus im Kreise der Freunde gesungen hat, aber ohne großen Anspruch. Am besten Liedchen, wo es sich um Wein, Weib und Gesang dreht, mit halbwegs frivolen Texten, das würde eher passen.

    Die im Film verwendeten Pferde fand ich persönlich überhaupt nicht schön. Aber es kann ja nicht jeder Film die schönsten Barockpferde zur Verfügung haben.

    Also: Solltet ihr den Film noch nicht geguckt haben: Absolute Empfehlung meinerseits!

    Und jetzt schau ich mir die Bilder dazu in der Galerie an!^^

  • "gebinge-watched",

    Was ist denn das??? Sorry, ich kenn mich mit digitalem Zeugs etc. überhaupt nicht aus...:whistling::whistling::whistling:
    Ich hab den Film auf DVD. Keine Ahnung, ob man ihn noch kriegt?

    Ja, der Darsteller des d`Artagnan, Aimé Simon-Girard, war Sänger. Hat, glaub ich, auch zusammen mit Django Reinhardt Aufnahmen gemacht.
    Ich find die Darsteller der Musketiere, Trévilles und des Kardinals ebenfalls sehr gut gewählt! :thumbup:Vor allem Henri Rollan (Athos) ist absolut super, und er war ein sehr bekannter Schauspieler, damals. Hat, wenn ich mich recht erinnere, auch unterrichtet. War nicht J. P. Belmondo einer seiner Schüler?:/
    Mein Avatar (heißt das eh so??) ist ebenjener Aramis alias Pierre de Guingand aus dem Diamant-Berger-Film. Der hat sogar 1929 zusammen mit der jungen Marlene Dietrich im Film "Ich küsse Ihre Hand , Madame" gespielt! Hach!:love:
    Was die Frauen betrifft, naja, typisch 20er Jahre halt...die wirken hier ein bissl aus der Zeit gefallen. Aber andererseits waren sie anscheinend noch richtige, normale Frauen und keine topgestylten Magermannequins, wie heute.X/
    Was die Pferde anbelangt...hm, vll vom 1. Weltkrieg übriggebliebene Rösser??

  • Haha, binge-watching kannte ich bis vor einigen Jahren auch nicht.

    Seit ich Netflix und Amazon Prime habe (und kaum noch normales Fernsehen schaue), ziehe ich mir gerne mal die ein oder andere Serie rein. Und wenn es eine gute, spannende Serie ist, suchtet man eine Folge nach der anderen hintereinander weg. Das ist binge-watching. Sehr geeignet für verregnete Wochenenden.

    Ich finde es gerade ziemlich geil, dass man eine 100 Jahre alte Serie binge-watchen kann und den größten Spaß dabei hat! Wenn das die Darsteller und das Filmteam wüssten!

  • War nicht J. P. Belmondo einer seiner Schüler?

    Doch :)


    .hm, vll vom 1. Weltkrieg übriggebliebene Rösser

    Ich hab mal gelesen, H.D.B. habe die Pferde direkt vom Schlachter weg gekauft, weil billiger ...


    hyperaktive Kuckuck an der Waldhütte in Armentières

    :D:D:D Echt? Der ist mir nicht aufgefallen, muss ich nochmal gucken! Und die Frauen sind gewöhnungsbedürftig, haben einen Nosferatu-Charme, echt 20er Jahre halt:)

    Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe (W. Churchill)

  • Belmondo ist mir ja nie als guter Schauspieler aufgefallen.....🙈 Ich fand ihn immer total hässlich mit seiner zerschlagenen Boxernase und den dicken Lippen. Und die Filme waren ja oft auch eher leichtes Genre.


    Ja, ja, bei den Pferden hat Henri gespart, aber die schönsten Hauptdarsteller hat er auftreiben können!😂🤣👍

    In der Galerie habe ich übrigens ein Bild gefunden, auf dem man d'Artagnan (?) von hinten zu Pferde sieht, wie er eine Treppe hinauf reitet. Ich kann mich an diese Szene im Film gar nicht erinnern! Die Treppe sah verdammt steil aus, und da mit einem Schlachtpferd hochreiten: Respekt!!!

  • :love: Ich mag das Foto, wo d`Artagnan aufm Fahrrad sitzt. DAS wär doch mal eine Filmparodie! Musketiere und Gardisten auf Fahrrädern, infolge Pferdemangels (wegen Maul- u. Klauenseuche, Pferdegrippe o. Ä.) Ups, da fällt mir ein, im Max Linder-Film gibt es tatsächlich so eine Szene! Ein Kardinalsgardist auf einem Motorrad! :D:thumbup:

  • auch nach Drehschluß in ihren Rollen geblieben sind

    Ja, hab ich auch gelesen. Das muss richtig witzig gewesen sein, ich glaub, es gibt auch ein Bild mit Planchet im Auto. D´Artagnan bzw. Simon-Gerard machte alle Stunts selbst, obwohl er schon um die 40 war, als der Film gedreht wurde:thumbup: - und der gute Belmondo hat ja auch mal d´Artagnan gespielt;) Allerdings in der Verfilmung des Theaterstücks, nicht des Romans.

    Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe (W. Churchill)

  • also war er 1921 gerade 32

    :thumbup:danke für die Korrektur:) - Aimé bedeutet ´geliebt´, ja. Ein schöner Name, das stimmt. Was ich immer irgendwie gruslig finde, wenn ich den Film anschau, ist, dass die Schauspieler bzw. alle daran Beteiligten ja eben erst den ersten WK hinter sich hatten. Das muss unglaublich sein, dann so einen Film zu drehen, ich find´, man merkt irgendwie die Lebenslust ...

    Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe (W. Churchill)

  • alle daran Beteiligten ja eben erst den ersten WK hinter sich hatten.

    :|Ja, das denk ich mir bei so manchen Kunstprodukten...furchtbare Zeiten waren das oft, in denen sie entstanden sind. Aber irgendwie hilft die Kunst dem Menschen sicher auch, solche schaurigen Außenweltsdinge zu verarbeiten... oder schlicht so gut wie möglich zu ignorieren...ich denk da jetzt mal an Alma Rosé, die das Frauenorchester in Auschwitz leitete. ;(Eine irrsinnige Situation, unter solch bestialischen Verhältnissen und in dieser tödlichen Umgebung Musik machen zu müssen! Aber eben diese Musik half vielen, in diesem Grauen zu überleben, das hat auch Anita Lasker-Wallfisch, Cellistin und Auschwitz-Überlebende, später in Interviews gesagt...

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