Hallo,
ich lese gerade den Grafen von Monte Christo in der Insel-Ausgabe. Mir war beim Kauf gar nicht bewusst, dass gekürzte Übersetzungen von Dumas' Romanen herumgeistern. Die Fischer-Ausgabe hat ca. 1500 Seiten, die Insel-Ausgabe 1200, sie ist aber klein und platzsparend gedruckt. Laut dem Impressum basiert sie auf einer alten Übersetzung aus dem Französischen (der ersten Übersetzung?) bearbeitet von M. Hasenbein. Kann mir jemand sagen, wie es genau um diese Übersetzung steht, und was evt. gekürzt wurde? Allgemein zu den Christo-Übersetzungen fand ich in einer Art Blog (http://www.andreasthieme.de/tagebuch_2006_01.html) eine interessante Anmerkung:
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Meine französische Ausgabe von "Der Graf von Monto Christo" ist eine sehr gute, weil alte, auf der Ausgabe von Lévy Paris 1846 beruhend.
Zur Übersetzung von Meinhard Hasenbein (Insel-Verlages) heißt es:
Nach einer alten Übersetzung aus dem Französischen.
Auf welche französische Ausgabe sie sich bezieht, schreibt man nicht. Man vermerkt lediglich:
Die französische Originalausgabe "Le comte de Monte-Cristo" erschien 1845/45 in Paris.
[15:55]
Warum ich das erwähne? - Weil bereits in den ersten Absätzen sich meine deutschen Ausgaben von meiner französischen unterscheiden.
Le 24 février 1815, la vigie de Notre-Dame de la Garde signala le trois-mâts le Pharaon, venant de Smyrne, Trieste et Naples.
Comme d'habitude, un pilote côtier partit aussitôt du port, rasa le château d'If, et alla aborder le navire entre le cap de Morgion et l'île de Rion.
Aussitôt, comme d'habitude encore, la plate-forme du fort Saint-Jean s'était couverte de curieux; car c'est toujours une grande affaire à Marseille que l'arrivée d'un bâtiment, surtout quand ce bâtiment, comme la Pharaon, a été construit, gréé, arrime sur les chantiers de la vieille Phocéé, et appartient à un armateur de la ville.
Cependant ce bâtiment s'avancait; [...]
In der Ausgabe des Insel-Verlages (Taschenbuch 266, erste Auflage 1978) heißt es:
Am 25. Februar 1815 signalisierte die Hafenwache von Marseille die Ankunft des Dreimasters Pharao. Wie gewöhnlich war die Plattform des Forts Saint-Jean mit Neugierigen bedeckt, denn die Ankunft eines Schiffes ist in Marseille immer eine große Angelegenheit, besonders wenn es einem Reeder der Stadt gehört.
Das Schiff näherte sich dem Hafen, aber so langsam [...]
In der Ausgabe Gyldahl & Hansen, Berlin 1913, beginnt der Roman wie folgt:
Am 24. Februar 1815 signalisierte der Schiffswächter von Norte Dame die Ankunft des Dreimasters Pharao, der von Smyrna, Triest und Neapel kam. Wie stehts, so hatte sich auch heute eine Menge Neugieriger zu dem imposanten Anblick im Hafen eingefunden, denn die Ankunft eines Schiffes ist immer eine große Begebenheit in Marseille, zumal wenn dasselbe, wie es der Pharao war, auf deinen Werften erbaut worden ist und einem Reder der Stadt angehört.
Mit vollen Segeln, aber langsam [...]
Warum erwähnen die deutschen Übersetzer in den ersten Zeilen "Château d'If" nicht?
Außerdem kann man die bekannte Kirche "Notre-Dame de la Garde" beim Namen nennen, kann also "signalisierte der Ausguck von Notre-Dame de la Garde" schreiben.
Der Roman nimmt seinen Anfang nun mal in Marseille, und wer die Stadt auch nur etwas kennt, sieht bei Erwähnung der Namen "Château d'If" und "Notre-Dame de la Garde" die Orte vor sich.
Es scheint, als wenn ich Französisch lernen muß, um den "Grafen von Monte Christo" lesen zu können, wie ihn sein Auto geschaffen hat.
Dabei ist es doch wirklich kein Problem, zumindest die Absätze des Originals zu übernehmen ...
Über diese Thematik - "Verbesserung" von Literatur nach dem Tod des Autors - habe ich mich schon sehr beim Vergleich verschiedener Ausgaben der Luther-Bibel aufgeregt.
Es scheint um die Übersetzungen also allgemein nicht so toll zu stehen? Auf de.rec.buecher allerdings las ich zu diesem Thema:
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Zu der Übersetzung speziell kann ich Dir nichts sagen, nur dazu, dass
es bei den Riesenromanen des 19. Jahrhunderts oft gar nicht so einfach
ist, festzulegen, was denn eine "vollständige" Ausgabe ist. Diese
Romane wurden in der Regel zur Veröffentlichung in Zeitschriften oder
Zeitungen konzipiert, die -- wenn der Roman gut lief -- ein Interesse
daran hatten, das die Dinger so ausufernd wie möglich wurden. Wenn
dann das Ende absehbar war, bereitete der Autor parallel dazu eine
Buchausgabe zur Zweitverwertung vor, die dann zumeist schon zum ersten
Mal wesentlich eingekürzt war, aber eben die vollständige Buchausgabe
darstellte. Lief die Buchausgabe gut, konnte es durchaus sein, dass
derselbe oder auch ein andere Verleger dasselbe Buch in einer
weiteren, nochmals gekürzten Ausgabe herausbrachte; dabei wurden die
Kürzungen dann oft von einem Lektor vorgenommen, die endgültige
Fassung aber vom Autor abgesegnet. Von daher ist es nicht immer so
einfach zu bestimmen, was denn die eigentliche, "ungekürzte"
Originalausgabe sein soll; genauso können "ungekürzte" Übersetzungen
in der Länge deutlich voneinander abweichen, ja nachdem auf welcher
Ausgabe sie fußen.
Die Idee einer "verbindlichen" Edition eines Textes gab es für diese
Romane zumeist nur sehr selten, und die modernen "vollständigen"
Ausgaben sind oft philologische Konstrukte, die so im 19. Jahrhundert
nirgends existiert haben.
Eine "gekürzte" Fassung muss also an sich noch nicht verkehrt sein.
Wie steht es um die Kürzungen bei "Die Bartholomäusnacht"? Ich habe damals das Taschenbuch vom Aufbau-Verlag sehr gern gelesen, aber wieviel wurde denn da gekürzt?
Liebe Grüße
Zoltan