Wieviel brachte Dumas aus seinem eigenen Leben in den Roman ein?

  • Aramis


    In dem biographischen Anhang meines Musketierromans steht folgendes:


    Ein Schlaganfall raubte ihm in der Nacht vom 4. zum 5. Dezember das Bewusstsein völlig. Am 5. Dezember verschied er, 68 Jahre alt.
    Dumas starb wie er lebte, mit einem Witzwort auf den Lippen. Auf den Kamin seines Zimmers in Puys hatte er bei seiner Ankunft ein Zwanzig-Francs Stück gelegt. Das war sein ganzes Vermögen, der Rest seiner Millionen. Während eines Gespräches, das er kurz vor seinem Tod mit seinem Sohn fürte, nahm er das Geldstück und betrachtete es lange nachdenklich.
    "Als ich vor fünfzig Jahren nach Paris kam, besaß ich einen Louisdor"; sagte er schließlich, mühsam lächelnd, "warum hat man mich einen Verschwender genannt?`Ich habe ihn gut verwahrt diesen Louisdor..hier ist er."

  • Die Aussage Dumas`über seinen ersten und letzten Louisdor ist sehr berührend - er scheint wahrhaftig ein Lebenskünstler gewesen zu sein, der alle Höhen und Tiefen des Daseins durchlebte. Irgendwie kommt das auch in den Musketier-Romanen zum Ausdruck, finde ich, diese immense Bandbreite der menschlichen Existenz.

  • Aramis


    Stimmt, in den Musketierromanen kam das wirklich gut zum Ausdruck, und mich erinnerte diese Stelle irgendwie an den jungen d´Artagnan, der auch mit 18 und kaum mehr als ein paar Münzen nach Paris kam.
    Dumas war wirklich ein Lebenskünstler, und er hat ja alle Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz durchgemacht, er kam arm nach Paris, erlangte mit seinen Romanen Weltruhm und Geld, und verlor alles wieder. Doch selbst als er sein Vermögen verloren hat, scheint ihm sein Humor noch geblieben zu sein.

  • Ja, eben - diese Unverwüstlichkeit ist es, die mir an Dumas so imponiert. Wenn ich denke, wie oft ich Trübsal blase, wegen irgendwelcher unbedeutender Kleinigkeiten! Er muss wirklich ein optimistischer, lebensfroher Mensch gewesen sein - und er hatte diesen gewissen Humor, diese superbe Ironie, die alle Ereignisse im Leben, auch die unangenehmen, zu einem einzigartigen Erlebnis machen. Außerdem, denk ich mal, muss er ein guter Beobachter gewesen sein, was menschliche Verhaltensweisen angeht, und auch sehr sensibel und gefühlsbetont - seine Dialoge sind oft total geladen mit Emotionen -

  • Aramis


    Mir gehts da genau wie dir, ich blase auch oft Trübsal wegen irgendwelcher unbedeutender Kleinigkeiten.
    Da kann man sich an Dumas Optimismus wirklich ein Beispiel nehmen...ich bewundere das, wie er in jeder Lebenslage seinen Humor behielt.
    Ich denke auch, dass er ein guter Beobachter gewesen ist, und vieles was er beobachtete in die Romane einfließen ließ.
    Die Dialoge sind wirklich sehr gut und haben auch eine gewisse Tiefe, ich lese sie immer wieder gerne. In den Romanen gibt es ja viele Dialoge, bei denen viele Emotionen zum Tragen kommen.

  • Ja, man merkt, dass Dumas Dramatiker war. Er denkt in Dialogen, und die Gefühle seiner Protagonisten entladen sich in ihnen. Deshalb gibt es bei ihm wahrscheinlich auch so wenige reine gedankenbeschreibende, psychologisierende Stellen - was seine Charaktere fühlen, muss man an den Dialoge ablesen.

  • Aramis


    Stimmt, in den Dialogen erfährt man so einiges über die Charaktere, kann viel über sie herauslesen.
    Das ist heute ganz selten, dass man in Romanen so gut gemachte, ausführliche Dialoge findet. Ich glaube, der erste Roman "Die drei Musketiere", erschien nicht zuerst als Buch, sondern in einer Pariser Zeitung, und womöglich hat Dumas deswegen so viele Dialoge eingebaut, da die Zeitungsleser mit Dialogen vielleicht mehr anfangen konnten, als mit psychologisierenden Stellen.
    Einer meiner Lieblingsdialoge ist ja der Dialog von Athos und dem König im letzten Roman, und der Dialog von Athos und d´Artagnan in dem Gasthaus im ersten Roman.
    Bei Dumas kann man sich beim Lesen der Dialoge richtig schön in die Charakter einfühlen. Ich habe bisher nur wenige Romane gelesen, in denen so viele und so lange, gut gemachte Dialoge waren wie bei Dumas. :thumbup:

  • Ich habe bisher nur wenige Romane gelesen, in denen so viele und so lange, gut gemachte Dialoge waren wie bei Dumas.

    Ja, das find ich auch - ich könnt jetzt gar nicht sagen, welcher dialog mir am besten gefällt! Ich glaube, das Schreiben von Dialogen lag Dumas einfach, ich kann mir nicht vorstellen, dass er dabei in erster Linie die Leser im Auge hatte. Andererseits wüsste ich gern, inwiefern Maquet da dran beteiligt war -

  • Aramis


    Ich erinnere mich daran, mal irgendwo gelesen zu haben, dass Maquet beim Schreiben der Romane hauptsächlich für die historischen Recherchen, also den sachlichen Teil zuständig war.
    Ob er auch mal bei einem Dialog mitgeschrieben hat, werden wir wohl nie erfahren...denkbar wäre es ja durchaus. Ich persönlich hatte bei den Dialogen ja eher das Gefühl, dass sie von einem Autor geschrieben wurden, also nur von Dumas. Aber man kann ja nie wissen...
    Wenn es zu Dumas Lebzeiten das Kino schon gegeben hätte, wäre aus ihm auch ein sehr guter Drehbuchautor geworden, so gut wie er Dialoge schreiben konnte. Mir steht das beim Lesen immer alles richtig lebendig vor Augen, ich kann mich in die Charaktere richtig gut hineinversetzen.

  • Hm, das wär sicher denkbar, dass Maquet die erzählerischen Hintergrundbeschreibungen geliefert hat, und Dumas die Dialoge. Denn Dialoge zu zweit zu fabrizieren, dass stell ich mir sehr schwer vor - man hat da ja sowas wie einen inneren Film im Kopf, und wenn man dann ständig seinen Kollegen fragen müsste, wie der nächste Antwortsatz seiner Meinung nach lauten soll, dann würde ja gar nix weitergehen, vor lauter Hin und Her -

  • Aramis


    Stimmt, wenn Dumas und Maquet die Dialoge zusammen geschrieben hätten, hätten sie ja ewig für jeden Roman gebraucht. Ich denke auch, dass Maquet die historischen Hintergründe lieferte, also beispielsweise über den Mord an Buckingham recherchiert hat..und Dumas schrieb dann die Dialoge zwischen Felton und Mylady.
    Dass Maquet sich später als Mitautor der Romane bezeichnet hat, finde ich nicht zutreffend, weil er ja nur die Recherche übernommen hat, Dumas letztendlich aber die Romane schrieb. Heute ist es ja noch oft so, dass Autoren Hilfe bei ihren historischen Recherchen haben, und das dann im Nachwort ihrer Romane vermerken.

  • Ich möchte das Thema mal aufgreifen, da es eine ganze Reihe von Dumas-Texten gibt, in denen der Autor sogar höchstpersönlich auftritt. Wir begegnen ihm schon in einigen seiner frühsten Prosatexten aus den 1830er Jahren. So tritt er beispielsweise in den Erzählungen „Ein Maskenball“ und „Ein Kabriolettkutscher“ als Zuhörer von durchaus fesselnden Erzählungen auf. Oder in der Erzählung „Bernard“ ist er sogar die erzählende Hauptperson und berichtet von seiner Jagdleidenschaft als Jugendlicher und später als junger Mann. Wobei die dort geschilderten Erlebnisse sicherlich dumastypisch sehr ausgeschmückt sind und möglicherweise nicht unbedingt so stattgefunden haben.


    Recht bekannt dürfte auch die Geschichte um den Galeerensklaven „Gabriel Lambert“ sein. Eines der alten Bücher, die man noch relativ leicht über Antiquariate und nicht allzu teuer bekommen kann, da der Kurzroman unter anderem auch in einer Unterhaltungszeitschrift („Frohe Stunden“) erschien. Man findet sie im 1. Halbjahresband des Jahres 1904. Noch leichter bekommt man die Ausgaben aus dem Verlag Neues Leben oder Verlag Neues Berlin, die inhaltsgleich sind, aber den Nachteil haben, das die Audienz beim König, die Dumas ausführlich schildert, in diesen Ausgaben auf zwei, drei Zeilen zusammengeschrumpft wurde. Hier tritt Dumas ebenfalls in der Rahmenhandlung auf. Bei einer Reise nach Toulon entdeckt er in einer Gruppe von Strafarbeitern einen jungen Mann, der ihm bekannt vorkommt. Dieser erkennt ihn auch wieder und schreibt Dumas einen sehr langen Brief, in dem er ihm seine Lebensgeschichte erzählt, und wie es gekommen ist, dass er zum Verbrecher wurde.


    Ebenfalls in der Rahmenhandlung tritt Dumas auch im Band „1001 Gespenst“ auf, eine Sammlung von Geschichten und Kurzromanen mit teilweise fantastischen Elementen. Manchmal sind in dieser Sammlung auch zwei Romane enthalten, die wohl ursprünglich solo entstanden sind; nämlich „Die Dame mit dem Samthalsband“ und „Das Testament des Monsieur Chauvelin“. In beiden schildert Dumas vorab Episoden aus seinem eigenen Leben, bzw. angebliche Episoden. Wer weiß das schon so genau.


    In der Erzählung „Marie Dorval“ hat er innerhalb der Handlung mehrere Auftritte. Besonders die Schilderung der Friedhofsszene in einem Brief ist sehr fesselnd geschrieben. Übrigens die einzige der hier genannten Erzählungen, die es derzeit auch aktuell in Buchform gibt, zusammen mit einer weiteren Erzählung, in der Dumas dann aber nicht selbst auftritt; die aber nach meiner Meinung sehr viel unterhaltsamer ist. Aber das nur so nebenbei, da es hier nicht das Thema ist.


    Und dann gibt es da noch die Kurzromane, in denen Dumas als Hauptperson auftritt; z. B. „Ein Liebesabenteuer“ in dem er eine Liebschaft zu der Schauspielerin Lilla von Bulyovszky schildert, die wohl so auch nicht ganz den Tatsachen entsprochen haben dürfte, oder „Eine korsische Familie“, die wohl auch in einigen Punkten etwas übertrieben sein dürfte, aber sehr spannend zu lesen ist.


    Nicht ganz sicher bin ich mir, ob der Ich-Erzähler in der Novelle „Geschichte eines Toten. Von ihm selbst erzählt“ auch mit Dumas identisch ist. Im Gegensatz zu allen bisher genannten Texten wird hier sein Name nicht erwähnt, allerdings würde diese Geschichte dann wieder bei denen einzuordnen sein, in denen er als Zuhörer fungiert. Eine Geschichte für Leser, die zum Beispiel E. T. A. Hoffmann mögen.


    Das sind jetzt nur die Sachen die ich kenne und auch vorzuliegen habe. Es gibt da sicherlich noch einiges mehr. Allerdings sind einige der genannten Texte Gegenwartsgeschichten. Allerdings Gegenwartsgeschichten aus Sicht von Dumas; nicht von uns. Aber eben nicht alle, wie beispielsweise „Das Testament des Monsieur Chauvelin“. Die Geschichte ergänzt ganz gut den Roman „Joseph Balsamo“, gehört aber nicht dazu.

  • Predantus
    Vielen Dank für diesen höchst umfangreichen Beitrag zum Thema! Das alles ist sehr interessant und informativ - und erinnert mich unwillkürlich auch an gewisse Praktiken E.T.A. Hoffmanns, sich selbst als literarische Figur in seine Werke einzubringen.
    Einige der von dir erwähnten Schriften sind auch auf der Dumaspère-Seite zu finden, hab ich gesehen.

  • Predantus


    Auch von mir ein Dankeschön für diesen interessanten Beitrag. Ich wusste vorher gar nicht, dass Dumas Erzählungen geschrieben hat, in denen er selbst eine der Hauptfiguren ist.
    1001 Gespenst habe ich gelesen, und es hat mir sehr gut gefallen, es zeigt, dass Dumas auch für Geistergeschichten ein Talent hatte.
    Ich werde mal sehen, ob ich diese Erzählungen noch irgendwo bekomme...würde mich echt mal interessieren.

  • Ich habe noch etwas Interessantes gefunden:


    http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Alexandre_Dumas


    Wie es scheint diente Alexandre Dumas sein Vater Thomas Alexandre Dumas als Inspiration für d´Artagnan....laut diesem Text war dieser mit drei Kameraden besonders eng befreundet und außerdem wie d´Artagnan ein wagemutiger Draufgänger.

  • Susannah


    Danke für diesen Tipp...also dieser Roman würde mich doch auch sehr interessieren. Da die Geschichte von Dumas Vater ja durchaus als Inspiriationsquelle für die Musketierromane gedient haben könnte, wäre es bestimmt mal interessant, den Roman zu lesen und zu vergleichen.
    Mich juckt es auch den zu kaufen, und ich werds wohl auch machen. :)

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