Die dunklen Facetten des VdB

  • der andere ist für ihn ein Imposteur ...


    :whistling: Stimmt, da hast du recht...und d`Artagnan hält daher auch eisern zu Louis, komme was da wolle. Trotzdem, ich würde mir wünschen, dass das nicht so einfach und bar aller Gewissensnöte über die Bühne ginge. Das ist jetzt sicher ein unpassender Vergleich, aber gewisse Leute im 20.Jh. dachten wohl auch, sie machten bloß pflichtbewusst ihren Job...

  • Der Vergleich ist gewagt, in der Tat. Ich halte d´Artagnan für loyal, aber er hat ein Gewissen - im Gegensatz zu jenen Leuten. Ich glaube nicht, dass er sich von einem grausamen Despoten vor den Karren spannen ließe.

    Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe (W. Churchill)

  • :whistling::whistling::whistling: Ja, da hast du recht, so weit würde d`Artagnan sicher nicht gehen! Und er hat bei allem doch ein großes Herz für seine Freunde. Und es ist seine persönliche Tragik, dass er ihnen nicht helfen kann. Diese Hilflosigkeit ist für ihn, denke ich, besonders schmerzlich bei Athos und Raoul. Philippe will er nicht helfen, und seinen Freunden kann er nicht helfen - ist das der heimliche Ausgleich, die subtile Vergeltung des Schicksals?

    Troja stand in Flammen. Alles war im A**** (Homer, Ilias, 1. Versuch)

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  • Philippe will er nicht helfen, und seinen Freunden kann er nicht helfen

    Aramis meint sicher dieses. Er hätte Mitleid mit Philipp haben müssen und ihn vor dem weiteren Eingekerkertsein bewahren müssen.
    Das ist natürlich das klassische Dilemma eines jeden "Beamten" - damals wie heute! Wem hat man den Eid geschworen? Was ist die "Pflicht", die man hat?
    D'Artagnan hat sich im Grunde völlig korrekt und rechtstreu verhalten, oder etwa nicht? Was kann man ihm vorwerfen? Keine Empathie für Philipp, mehr nicht (und auch nicht weniger natürlich).

  • Was ist die "Pflicht", die man hat


    Ja, genau, das ist das Problem: Worin sehe ich meine Pflicht? In der Loyalität meinem Chef gegenüber? Oder verspüre ich darüber hinaus auch die Pflicht zur Menschlichkeit? Darf man sich gegen unmenschliche Befehle auflehnen, ohne seinen Treueeid zu brechen? Für Athos sprang d`Artagnan sehr wohl in die Bresche und brachte damit Louis dazu, den rebellischen Comte wieder aus der Bastille zu entlassen. Ja, ich weiß, das ist jetzt nicht ganz mit Philippes Fall vergleichbar, aber immerhin hatte Athos ja Louis die Treue aufgekündigt, was man als lèse-majesté interpretieren könnte.

  • Darf man sich gegen unmenschliche Befehle auflehnen


    hatte Athos ja Louis die Treue aufgekündigt


    Hhmmm- also diese Sache mit der Verantwortlichkeit bei der Durchführung von (ggf. auch "unmenschlichen") Befehlen - ich glaube, dieses Problem hatten die Menschen im 17. Jahrhundert noch nicht. Zumindest nicht in dem Maße, wie es heutzutage nahezu jedem bewusst ist - spätestens nach 1933 - !
    Der Herrscher, d.h. in der Regel der König, war der von Gott bestimmte "Chef". Da hatte es keine Auflehnung zu geben.
    Und ja, Athos und "Treue aufgekündigt" - gefährliches Spiel von Athos, an der Grenze zum Hochverrat.


    Das, was Philippe vorhatte, das war Hochverrat!
    Louis war König "von Gottes Gnaden", gesalbt in St. Denis mit dem heiligen Öl. Den gekrönten und gesalbten König abzusetzen - für die meisten Menschen jener Zeit eine undenkbare Sache.


    Heutzutage, im 21. Jahrhundert, da denken wir anders. Da liegen ja auch fast 400 Jahre dazwischen . . .


    Ich denke, d'Artagnan konnte im Grunde nicht anders handeln. Er hatte sich (als einziger der vier "Freunde") für die militärische Karriere entschieden. Dass er seinem Dienstherrn, dem er Treue geschworen hatte, Folge leistete, wer kann das übel nehmen? Es ist für mich nicht unbedingt ein Zeichen für einen schlechten Charakter.

  • der König, war der von Gott bestimmte "Chef"


    Ja, für d`Artagnan stellt sich das vorhin erwähnte Problem offensichtlich nicht, er handelt (zumindest im Fall Philippe) als gehorsamer Untertan, der den Befehl seines Herrn befolgt, ohne sich zu fragen, ob dieser menschlich akzeptabel bez. vernünftig ist oder nicht.
    Hm, doch andererseits wiederum gab es seit der Antike de Begriff der humanitas, der sich wie ein roter Faden über den Humanismus der Renaissance zum Humanitätsideal der Klassik hinzieht..concordia, fides, iustitia, audacia und disciplina sind die Tugenden, die den Wert des Menschen ausmachen. Darunter befinden sich auch die Begriffe Gerechtigkeit und Mut. Aber d`Artagnan war ja in puncto Latein nicht besonders beschlagen.. :whistling: Im 17.Jh. tauchte in Frankreich zudem der Begriff des honnête homme auf, das Ideal des gebildeten und unprätentiösen Mannes, der vernünftig handelt und sich keinem Dünkel überlässt... und Calderóns Drama Das Leben ist ein Traum wäre für Louis ein interessantes Lernmaterial...8) Wäre Louis klug, so würde er aus Philippes Existenz Kapital schlagen und seinem Bruder eine passende und verantwortungsvolle Aufgabe im Staat übertragen, anstatt in ihm bloß einen unliebsamen Konkurrenten oder gar einen Feind zu sehen. Aber dazu ist er leider zu eitel und zu sehr in seinem Dünkel gefangen.

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  • Ich weiß nicht, ich denke, die Entscheidung für oder gegen seinen Bruder überraschte ihn, also Louis, in einem völlig ungünstigen Moment. Er war eh angeschlagen, weil er bemerkten musste, dass Fouquet ihn in Sachen Grandeur übertrumpfte, sein Königtum war noch nicht gefestigt, er regierte selbst erst seit kurzer Zeit. Von einem Bruder wusste er nichts und nun kommt, ausgerechnet auf diesem unsäglichen Fest, ein Mensch daher, der ihm ähnlich sieht und behauptet, der wahre König zu sein? Und Louis soll barmherzig die Arme öffnen und ihn willkommen heißen? Das kann er in diesem Moment einfach nicht, das ist zu kurz, zu plötzlich, zu ungeschickt. Er hat nch nicht so viel Erfahrung im Regieren, sein Thron ist wackelig, deswegen greift er durch. D´Artagnan muss in diesem Augenblick zu dem stehen, dem er Treue geschworen hat, und das ist Louis. Er weiß nichts von Philippe, für ihn muss das ebenfalls aussehen, als wolle sich ein Ursurpator den Thron greifen ... er tut in dem Moment seine Pflicht, ohne jeglichen Zweifel. Deswegen hat er auch kein schlechtes Gewissen, das kommt später, als er erkennt, wer Philippe eigentlich ist.

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  • die Entscheidung für oder gegen seinen Bruder überraschte ihn, also Louis, in einem völlig ungünstigen Moment.


    So war der Sonnenkönig von der Situation schlicht überfordert? 8) Der Ärmste. Nun, menschlich gesehen ist es verständlich, dass er in diesem Augenblick die Nerven hinschmeißt, doch hinterher hätte er sehr wohl Zeit und Gelegenheit gehabt, die Causa Philippe nochmals in aller Ruhe zu überdenken. Vor allem ein klärendes Gespräch mit der Königinmutter wäre doch naheliegend gewesen. Daraus hätte sich sicher ergeben, dass Philippe tatsächlich sein leiblicher Bruder ist und nicht bloß ein zufällig ihm aufs Haar gleichender Hochstapler.
    Was d`Artagnan betrifft, so unternimmt er trotz gewisser Anwandlungen auch später absolut nichts zu Philippes Gunsten. Dieser gehört nicht zu seinen engen Freunden, also tut er auch nichts für ihn. Keine Fürsprache, kein Gnadengesuch, nichts.

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  • Oh, er hätte, Historie hin oder her, Louis und seiner lieben Mutter durchaus ein paar heftige Alpträume bescheren können, infolge unterdrückter Gewissensbisse! :evil: Aber nix, der König macht einfach hochgemut weiter wie bisher, und Philippes Schicksal kümmert ihn nicht die Bohne. Dasselbe gilt für d`Artagnan. Gerade der sollte doch vor heimlichen Schuldgefühlen schier vergehen! Aber er ist charakterlich ein durchtriebener und im Grunde skrupelloser Kerl, ebenso wie Louis, da haben sich zwei gefunden. Und der König vertraut ihm ja wohl nicht einfach so.


    Ja, eigentlich hätte der Gascogner Phillippe nicht zurückbringen dürfen, letztendlich war auch Philippe königlichen Geblütes und somit wäre der Gascogner auch ihm verpflichtet gewesen.
    Und unter König Louis gab es für den Gasconger nicht eine einzige Beförderung, unter einem König Philippe, dem er geholfen hat, den Thron zu besteigen, hätte er sicherlich alles haben können, jedes Amt das er begeht, Reichtum, Frauen, usw.
    SChon seltsam, dass er Louis, der niemals was für ihn tat, ihm niemals trotz seiner Treue eine Beförderung zugestand, dennoch so treu diente, damit hat er sich die Zukunft die er hätte haben können, zerstört.

  • unter einem König Philippe, ... , hätte er sicherlich alles haben können, jedes Amt das er begeht, Reichtum, Frauen, usw.

    Das heißt, er hätte sich verkaufen sollen? Ein Glücksritter, der lediglich auf seinen Vorteil bedacht ist?


    SChon seltsam, dass er Louis, der niemals was für ihn tat, ihm niemals trotz seiner Treue eine Beförderung zugestand, dennoch so treu diente, damit hat er sich die Zukunft die er hätte haben können, zerstört.

    Ja, er war wohl doch ein recht geradliniger Charakter. Wem er geschworen hatte, dem diente er. Und basta.
    Mag er sich eine doch recht zweifelhafte "Zukunft" zerstört haben - er für sich ist auf dem für ihn "rechten" Weg geblieben.
    Philippe war für ihn ein Usurpator und weiter gar nichts.
    Woher sollte ein Mensch des 17. Jahrhunderts auch Empathie für einen Gefangenen haben? Gefangene, Eingekerkerte gab es zuhauf.
    Die Maske ist scheußlich, ja, aber - es gab die "peinliche Befragung", die Hinrichtungen waren öffentlich - und wie grausam oft genug!
    Die "Empfindsamkeit" kam erst über 100 Jahre danach in Mode.

  • Ich denke auch, dass d´Artagnan sich diese Fragen nicht stellte. Er hatte Louis Treue geschworen und er stand als einfacher Soldat zu seinem Schwur. Es war ja nicht an ihm, zu beweisen, dass Philippe der rechtmäßige König war, vor d´Artagnan hätten sich einige andere - unter anderem Louis, da bin ich einverstanden - fragen sollen, ob ihr Handeln nicht vorschnell war.

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  • Es war ja nicht an ihm, zu beweisen, dass Philippe der rechtmäßige König war


    ;) Okay, ich lass den armen d`Artagnan künftig in Ruhe. Hm, vielleicht wärs tatsächlich besser gewesen, wenn Aramis ihn in seinen Plan eingeweiht hätte. Dann wäre der Gascogner drauf vorbereitet gewesen und hätte sich notgedrungen, wenn auch bloß seinem Freund zuliebe, mit der Causa Philippe auseinandersetzen müssen.

  • Stimmt, da hätte er vielleicht ganz anders reagiert. Ich glaube, er wäre zu seinen Freunden gestanden. Aber sie scheiterten, weil jeder eigene Wege ging. Das ist doch die große Lehre des VdB: Wenn du deinen Freunden nicht mehr vertraust, geht alles schief :S

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  • Aber sie scheiterten, weil jeder eigene Wege ging.


    ;( Ja, das ist der Kernpunkt des ganzen VdB. Eine schreckliche und für mich großteils unverständliche Tragödie. Warum machte Dumas das? Wollte er seine Figuren (bis auf Aramis) alle konsequent umbringen? Irgendwie scheint mir das sein Plan gewesen zu sein ;(;(;(

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  • Wollte er seine Figuren (bis auf Aramis) alle konsequent umbringen?

    Vermutlich ja. Weil er nicht vorhatte, da noch einen Fortsetzungsband zu schreiben.
    Wird doch heutzutage im Fernsehen auch so gemacht, wenn eine "Tatort"-Serie mit einem bestimmten Kommissar ein Ende finden soll! Entweder der Ermittler geht in Ruhestand oder er wird erschossen.

  • :whistling: Ich gesteh`s, da wär mir der Ruhestand weit lieber gewesen! Die drei inséparables und d`Artagnan auf ihre älteren Tage, wo sie mittlerweile doch schon genügend Lebensweisheit angesammelt haben sollten, so auseinander gerissen zu sehen, das verkrafte ich irgendwie nicht. Ganz zu schweigen von Raouls unglücklicher Liebesgeschichte. Nicht mal er darf überleben! ;(;(;(;( Aber Tragödien sind natürlich entsprechend dramatisch, und Dumas wollte offenbar unbedingt die Eiserne Maske in das Ganze einbauen, als spannungsgeladenen Höhepunkt. Auch irgendwie verständlich, denn der Mythos um diesen unbekannten Mann hält ja bis heute an...


  • ;( Ja, das ist der Kernpunkt des ganzen VdB. Eine schreckliche und für mich großteils unverständliche Tragödie. Warum machte Dumas das? Wollte er seine Figuren (bis auf Aramis) alle konsequent umbringen? Irgendwie scheint mir das sein Plan gewesen zu sein ;(;(;(


    Ich denke, das ist eher dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Während heute in Romanen Happy Ends, meist zum Kotzen schwülstig, gefordert werden, liebten die Menschen zur Zeit von Dumas Dramen, viele Werke aus dieser Zeit enden tragisch und mit vielen Toten, das ist mir aufgefallen.
    Wäre alle vier, zusammen mit Raoul, am Ende glücklich in den Sonnenuntergang geritten, wäre das wohl bei den Lesern nicht so gut angekommen.
    Damals waren eben Romane beliebt, in denen viele der Hauptfiguren am Ende das Zeitliche segneten.
    Ja, ich finde ein bisschen morbide und düster war das 19. Jahrhundert schon.

  • Stimmt, wir schauten vor kurzem Winnetou - die alte Verfilmung - und da endet es ja ebenfalls mit dem Tod der Hauptperson. Wäre heute eigentlich undenkbar. Meine Tochter war ganz empört, dass Winnetou sterben musste, heute wäre das sicher ein Ärgernis im Kino und die Regisseure würden sich beeilen, alles umzuschreiben ...

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