Zehn Jahre später - Finale (Spoiler!)

  • Puh, endlich habe ich es geschafft: Der letzte Teil der Romanreihe liegt gelesen vor mir!

    Meine Ausgabe war eine rund hundert Jahre alte Edition aus dem Axel-Juncker-Verlag Berlin, gesetzt noch in altdeutscher Schrift (hach, so schön, und dazu leicht vergilbte Seiten! Ich liebe es!). Übersetzer war Edmund Th. Kauer, dessen Übertragung mir schon bei den Drei Musketieren gefallen hat.


    Dieser Übersetzer nahm sich die Freiheit, den letzten Teil statt in drei, in zwei Bücher aufzuteilen, einmal "D'Artagnans Mission" und schließlich "König Ludwigs Doppelgänger". Er hat ganz bewußt den ersten Teil nicht "Der Vicomte de Bragelonne" betitelt, weil er Raoul in seiner Charakterentwicklung enttäuschend fand, wobei ich ihm wirklich zustimmen muss. Dieses Rumgeschmachte und Wehleidige geht wirklich auf die Nerven! Entsprechend dankbar war ich, dass der Übersetzer auf eine Dreiteilung verzichtet hat, deren mittlerer Teil "Louise de la Vallière" heißt, wobei mich diese Tucke (Ja, nichts anderes ist sie!) noch mehr genervt hat als Raoul! Noch mehr Rumgeschmachte, noch mehr Wehleidigkeit! Hätte sie doch Raoul genommen, hätten sie beide gemeinsam schmachten können! Boah, die Olle ist es echt nicht wert, wie sie mit Raoul umgeht und den König anschmachtet.

    Dann dieses ganze Hofgeplänkel mit hier einer Intrige, dort einer Kabale, völlig uninteressante Handlungsstränge, die man schwerfällig liest und über sich ergehen lassen muss, um schließlich gnädig einige grandiose Szenen lesen zu dürfen, in denen unsere Freunde auftauchen. Ja, ihre Szenen sind wunderbar!

    Insbesondere Aramis ist einfach grandios! Bewundernswert, wie er stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, um sein Geschick zu vervollkommnen! Leider macht er eine einzige Fehleinschätzung, nur eine einzige, doch diese ist folgenschwer! Ab hier konnte ich das Buch nicht mehr weglegen und musste leider realisieren, dass ich noch etwa 50 Seiten übrig hatte und in diesen würde ja Furchtbares passieren! Also las ich weiter, während ich quasi Nägel kaute (oder den Schnurrbart, wie es d'Artagnan in diesem Buch häufiger tut - was ist das für eine Angewohnheit, bitteschön???).

    Die Passagen mit den Vieren sind sehr gut, allerdings wurde ein wenig verändert. Ich habe beispielsweise Athos' Tod im Projekt Gutenberg in deutsch nachgelesen und hier trauern sowohl Grimaud als auch etwas später d'Artagnan an Athos Totenbett unter Tränen. In meiner Übersetzung durfte nur der Diener weinen. Da ich unseren Gascogner ja kenne, kam mir das seltsam vor und ich las den Gutenberg-Text zum Vergleich und siehe da!

    Auch Aramis' Tränen um Porthos werden in meiner Übersetzung zwar erwähnt, jedoch kommen sie in der anderen Übersetzung mehr zur Geltung.

    Vielleicht war das dem 20-er-Jahre Zeitgeist geschuldet, dass der Übersetzer nicht allzu sentimental werden wollte.

    Allerdings habe ich bei keinem der drei, bzw. vier Tode, wenn man Raoul mitzählt, Tränen vergossen, obwohl ich ein Leser bin, der bei gutgeschriebenen Passagen durchaus mal nah am Wasser gebaut hat. Am ehesten noch, als Athos gerade tot ist, Grimaud an seinem Bett kniet und d'Artagnan die Treppe heraufstürmt, Athos' Namen schreit und doch zu spät kommt. Das war tragisch.


    Ich verdächtige Dumas, der ja als einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit einen gigantischen "Output" an Werken hatte, den er ja auch brauchte, um seinen extravaganten Lebensstil zu finanzieren, dass seine "Schreibwerkstatt", die er ja hatte, die uninteressanten Passagen geschrieben hat und der Maestro selbst dann die Feder zur Hand nahm, wenn es um das Kleeblatt ging. Diese Passagen nehmen mehr Tempo auf, sind deutlich spannender als das ganze höfische Blabla drumherum. Allerdings die Helden Schlag auf Schlag in den aufeinanderfolgenden letzten Kapiteln "abzumurksen" ist wirklich brutal!

    Die Langeweile in den Kapiteln ohne die Vier liegt auch darin begründet, dass einem keiner der Charaktere zu Herzen geht, weder Louise, noch ihre Freundin Montalais, auch nicht Raoul oder de Guiche, weder der junge Buckingham, noch der junge de Wardes, mit dem d'Artagnan zumindest einen knallharten verbalen Schlagabtausch hat (Jawoll!!!). Der junge Sonnenkönig ist ein Arschloch, wie er im Buche steht und wie er mit d'Artagnan umgeht, als dieser vor Belle Isle versucht, seine Freunde zu retten, entbehrt jeder Beschreibung. Leider liefert d'Artagnan sich mit dem König im folgenden Kapitel keinen grandiosen Schlagabtausch, wie wir ihn aus den früheren Romanen kennen (wo man sich fragen musste, wie er überhaupt gehen konnte, bei DEN EIERN??!!), sondern hier behält der König die Oberhand und man leidet mit dem Gascogner. Zwar darf er dem König im Laufe des Romans so etliche Frechheiten sagen, aber der König bleibt seinen Prinzipien treu.


    Insgesamt trugen für mich lediglich Aramis und d'Artagnan durch das Buch. Athos war zwar angenehm zu lesen, aber mehr wie "Helikopterpapi" für den bereits 26-jährigen Raoul war er nicht! Athos' Besuch beim König, um ihn zur Rede zu stellen, warum er seinem Sohn Louise weggenommen hatte, war ziemlich "cringe", wie man heute sagen würde. Irgendwie fand ich es peinlich, dass Papa Athos dem König für seinen erwachsenen Sohn (der älter ist als es d'Artagnan, Aramis und Porthos und fast so alt wie sein Vater im ersten Teil waren) die Hosenbeine strammziehen will.

    Porthos war leider mittlerweile nur noch der unersättliche Lebemann, der nicht weiß, wohin mit seiner Kraft. Seine Ernährung ist grenzwertig gesundheitsschädigend, totgerittene Pferde pflastern seinen Weg und er wird sowohl von d'Artagnan als auch von Aramis fröhlich für ihre Zwecke benutzt, ohne es zu merken, aber ewig vertrauend. Immerhin nimmt Aramis Porthos mit auf seiner Flucht und sorgt sich sehr um ihn, versucht mehrfach, seinem Freund freies Geleit und Straflosigkeit zu ermöglichen. Hier sehe ich wieder etwas von der besonderen Nähe, die Aramis zu Porthos bereits im ersten Buch hatte. Vielleicht ist der einfache, unkomplizierte Porthos ein angenehmer Gegenpol für Aramis' allgegenwärtige Verkopftheit und Kompliziertheit.

    Aramis läuft hier in dieser Geschichte zu voller Größe auf, wie wir ja in der Prozession in Vannes eindrucksvoll erleben konnten. Er hat klare Ziele und will als General des Jesuitenordens nichts weniger als Papst werden. Chapeau! Diese geheimnisvolle Verbindung rettet ihn auch nach dem Fiasko von Belle Isle, er ist wie eine Katze, die immer auf die Füße fällt, trifft er doch am Ende des Romans, vier Jahre nach Belle Isle, als spanischer Abgesandter, als Herzog d'Alameda wieder mit d'Artagnan am französischen Hof zusammen.

    D'Artagnan ist in diesem Roman zwar immer noch der stolze Gascogner, doch Lebens- und Berufserfahrung lässt ihn mit seinem Schicksal hadern, insbesondere mit seinem Arbeitgeber, dem König. Oh, wie ich das verstehen kann. Heutzutage würde er kündigen und sich etwas Neues suchen oder sich selbständig machen. :-) Man merkt, dass er nichts hat, wonach er wirklich strebt. Gut, vom Chevalier zum Graf wird er erhoben und am Ende wird er Marschall, was er jedoch nicht mehr genießen kann. Ansonsten ödet ihn das Hofleben an und ich liebe die Passage, in der d'Artagnan als Privatmann in die Bretagne reist, sich ganz bewußt ein altes, langsames Pferd ("Frettchen") kauft und sich treiben lässt. Ein wenig die Küste erkunden, vorgeben, Salinen kaufen zu wollen (Ich kann kein Fleur de Sel mehr kaufen ohne zu gucken, ob es aus der Bretagne kommt!), schließlich mit den Fischern nach Belle Isle übersetzen und dabei einen Riesenspaß an der Fischerarbeit zu haben, das ist irgendwie herzerfrischend und ich habe ihm diese "Urlaubstage" sehr gegönnt. Dass seine Erkundigungen zwecks Befestigung der Insel zwar erfolgreich sind, jedoch beim anschließenden Rapport in Paris vom König lächelnd als bereits bekannt abgewunken wurden, tut dann schon weh.

    Und eine Stelle, in der ich dem Gascogner aus vollem Herzen beipflichten muss, ist die, als Louise nach der Trauerfeier für Athos und Raoul mit d'Artagnan allein zurückbleibt und er ihr knallhart ins Gesicht sagt, dass sie seinen Freund und dessen Sohn (fast seinen eigenen Sohn) auf dem Gewissen hat und für Mörder kein Platz bei der Beerdigung des Opfers ist. Prächtig! Das hat die blöde Kuh verdient! Endlich mal einer, der ihr sagt, was Sache ist! Immerhin fällt sie ja bald aus der Gunst des Königs und kann dann doch noch in ihr Kloster gehen.


    Tja, insgesamt eine nette Lektüre, aber ich bin froh, durch zu sein. Und unsterblich sind unsere Helden ja sowieso, ich brauche nur den ersten Band aufschlagen oder unsere Fanfiction lesen.^^

  • :thumbup::thumbup::thumbup:WOW!! Du hast den VdB echt von vorn bis hinten durchgelesen?! Hut ab!! :whistling::whistling::whistling: Ich hab das nicht geschafft, ich konnte den bloß auszugsweise und querbeet lesen, aus eben jenen Gründen, die du oben in deiner Buchkritik schon angeführt hast. Wobei es, wie du schriebst, jedoch auch sehr schöne Szenen darin gibt, die mich beim Lesen sehr berührten. Aber im Großen und Ganzen hinterließ dieses Werk bei mir einen unangenehmen Nachgeschmack, nicht bloß wegen dieser völlig irren Idee des heimlichen Königsaustausches mit sämtlichen Kollateralschäden, die Aramis als intelligentert Mensch eigentlich vorhersehen hätte müssen. Aber gut, er spielt also hier den "villain of the piece", nachdem es keinen Rochefort, keine Mylady und keinen Mordaunt mehr gibt. Irgendwie hat das Ganze für mich keinen roten Faden, keine klare Botschaft. (Obelix würde jetzt wohl, wie im Kupferkessel, wütend sagen: "Und die Botschaft?! Was ist mit der Botschaft?!" ;)) Was will der Autor (bez. die Autoren) damit vermitteln?? Alte Liebe rostet nicht? Wer hoch steigt, fällt tief? Das Leben, eine einzige Enttäuschung??

  • Ich könnte jetzt boshaft sein und sagen, dass dieses Werk das Geschreibsel eines in seine Schreiberei verliebten alten Knackers/Egozentrikers ist......Dumas möge mir verzeihen, aber mein Mundwerk ist so lose wie das des Gascogners. Und für das, was er mit unseren Freunden anstellt, muss er auch einstecken können!

  • Übrigens empfand ich Aramis gar nicht als den "Villain". Ich fand, dass das eine logische Weiterentwicklung seiner Karriere war, es wurde ja schon in Vannes angemerkt, dass Aramis nicht wie andere, "kleine" Kirchenmänner sich um Weiber, Kinder und Greise kümmerte, sondern dass diese so gar nicht seine Zielgruppe waren, er stattdessen nach Höherem strebte. Also hochgestellte, persönliche Kontakte, Macht und Einfluss.

    Seine Sorge um Porthos hat mich sehr mit ihm ausgesühnt, weil er dies ohne Maske zugibt.

  • Aramis`Streben nach Macht wird einzig nur von seinem Freundschaftsgefühl gebrochen, und Porthos`Tod ist für ihn wohl der schrecklichste Moment seines Lebens. Aber auch der Abschied von Athos ist herzzerreißend. ;( Ja, ein Machtmensch & Politiker darf keine Skrupel haben, sonst hat er schon verloren...

  • Der Abschied von Athos? Welchen meinst du? Irgendwie komme ich durcheinander, wer sich wann wo verabschiedet hat. Und ich erinnere mich nur, dass Aramis und Porthos auf ihrer Flucht in Blois keine Pferde bekommen und sich stattdessen bei Athos welche holen. Bei mir waren da nur die üblichen Umarmungen und Adieu-Sagungen. Schwammen die Freunde etwa in Tränen???

  • Eine total unheilschwangere, zutiefst emotionsgeladene Szene - man spürt das drohende Schicksal, sieht es schon über die Freunde hereinbrechen, und keiner kann es aufhalten...;(

  • Hui, Percy, danke dir für die eindrucksvolle Kritik 👍 - ich stimme dir da voll zu, Raoul und Louise sind beide Dramaqueens par excellence. Dass darüber ein Mann wie Athos sterben muss, ist grausig. Er hätte beiden die Hosen strammziehen sollen und dem König gleich mit. Alle drei verhalten sich wie verwöhnte Kinder🙄. Es ist ein bisschen so, wie Dumas schrieb: es gibt keine Helden mehr, die wahrhaft großen Männer sind untergegangen und unsere Freunde gehören im VdB einer vergangenen Epoche an. Das mit den Handlungssträngen hat mich auch gestört, man kommt irgendwie nicht in die Geschichte rein und Manicorne und Manicamp oder wie sie heißen, nerven einfach.

    Wenn es morgens um sechs an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe (W. Churchill)

  • Hui, Percy, danke dir für die eindrucksvolle Kritik 👍 - ich stimme dir da voll zu, Raoul und Louise sind beide Dramaqueens par excellence. Dass darüber ein Mann wie Athos sterben muss, ist grausig. Er hätte beiden die Hosen strammziehen sollen und dem König gleich mit. Alle drei verhalten sich wie verwöhnte Kinder🙄. Es ist ein bisschen so, wie Dumas schrieb: es gibt keine Helden mehr, die wahrhaft großen Männer sind untergegangen und unsere Freunde gehören im VdB einer vergangenen Epoche an. Das mit den Handlungssträngen hat mich auch gestört, man kommt irgendwie nicht in die Geschichte rein und Manicorne und Manicamp oder wie sie heißen, nerven einfach.

    Ich vermute, dass Raoul als Sohn eines alleinerziehenden Vaters auch von Athos sehr verwöhnt wurde.

    Athos war ja, bevor er Raoul bekam, ein verzweifelter Trinker, der unter dem Trauma mit Mylady litt.

    Er gab Raoul seine ganze Liebe und verwöhnte ihn vermutlich zu sehr, ich bin ja keine Psychologin, aber ich glaube, dass Athos Raoul zu sehr zu seinem Lebensinhalt machte. Mit Sicherheit war er ein sehr guter, liebevoller Vater, aber tat manchmal vielleicht etwas zuviel des Guten.

    Und beide waren sehr sensibel, Athos ertränkte seinen Liebeskummer im Alkohol und Raoul beging Selbstmord.

    Wobei ich da Raoul doch sehr egoistisch finde, denn er dachte gar nicht über den tiefen Schmerz nach, den er seinem Vater damit zufügte.

    Ihm hätte klar sein müssen, dass er mit seinem Selbstmord auch Athos in den Tod reißt, der ja außer Raoul keine weitere Familie mehr hatte.

    Mich erinnert Raoul etwas an Goethes jungen Werther...der war in seinem Liebeskummer genauso radikal wie Raoul.

    Vielleicht wurde Dumas davon ja inspiriert?

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